PR TB 217 Das Mittelmeer Inferno
entstammten sicherlich nicht der
Produktion heimischer Handwerker. Trotzdem „paßte"
das Schiff in diesen Kulturkreis.
„Noch verstehe ich es nicht", gab ich zurück. Wir
standen im Bug des Schiffes und durchforschten mit unseren Blicken
die Oberfläche des Meeres.
„Wohin geht es nach dem Aufenthalt auf Stronghyle?"
wollte der Kapitän wissen. Wir hatten sämtliche Karten
studiert, und Nestor kannte die Richtung der Herbst- und
Winterstürme. „Nach Melos, denke ich", erwiderte ich.
„Und dann nach Keos. Dort befinden wir uns im Herrschaftsgebiet
von Knossos."
Die CHARIS war bestens ausgerüstet. Riesige Krüge voller
Mehl waren ebenso in der Bilge festgezurrt wie Wasser- und
Weinschläuche. Jeder Mann hatte seine Ausrüstung und seine
Waffen griffbereit. Nachts konnten wir zwischen den Ruderbänken
schlafen, und im Gegensatz zur REA waren die Decksplatten von Bug und
Heck aus weit bis zum Mast vorgezogen. Nur wenig Seewasser spritzte
ins Schiff.
„Stronghyle, Melos mit Phylakopi und schließlich Keos
- das ist eine Route, die mir benagt", stellte Nestor fest.
Die Riemen waren eingezogen und festgezurrt worden. Das Segel
bauschte sich prall im Wind, der im Tauwerk pfiff. Nestor berichtete
mir, während die Insel sich aus dem Dunst schälte und wir
mehr und mehr Einzelheiten sehen konnten, was er über Stronghyle
wußte. Stronghyle oder Atlantis.
Die zweite Bezeichnung hatte weitestgehend mythologischen oder
mythischen Charakter und mit meinem Namen nichts zu tun. Die Insel
war in grauer Vorzeit durch das Wirken des Vulkangotts - also durch
das Zusammenwirken kleinerer Vulkanausbrüche - entstanden. Die
Insel war fast kreisrund und bestand im wesentlichen aus einer
ansteigenden, kreisringförmigen Ebene und einem
charakteristischen Vulkankegel in deren Mitte. Einige Buchten, fast
wie Fjorde geformt, stießen tief in die Ebene hinein vor.
Vulkanische Asche, kalte und warme Mineralquellen, Regenfälle
und eine systematische Pflege hatten die Insel in ein Wunderland der
Fruchtbarkeit verwandelt. Wir sahen die riesigen Bäume, einige
helle Bauwerke dazwischen, sahen Viehherden auf den dunkelgrünen
Weiden und das Laub, das sich in sämtlichen Farben von Bronze
und Gold zu färben begann.
In Sichtweite der Insel tauchte ein zweites Segel auf. Weit an
Backbord, etwa auf gleicher Höhe mit uns, sahen Nestor und ich
fast gleichzeitig ein grellweißes Dreieck, dessen schärfste
Spitze nach schräg oben wies.
„Du rechnest mit hinderlichen Winden oder Stürmen?"
nahm ich Nestors Antwort wieder auf. Er nickte kurz. Wenn wir
versuchten, zumindest die Siedlungen
an allen betroffenen Küsten anzufahren, mußten wir die
tausend Inseln verlassen und nach Westen segeln.
„Wir sollten von Athen nach Tyrins über Land reisen",
murmelte Nestor.
„Einverstanden. Wenn man uns weiterhilft?"
Vor der Insel Stronghyle kreuzten einige kleine Schiffe. Ein
Frachtschiff stampfte schwer beladen durch die Wellen weit vor der
Hafeneinfahrt. Die graue Rauchwolke des Vulkans stieg schräg in
die Höhe und wurde nach Osten zu zerfasert. Sie bildete eine
flache Wolkenschicht, die einen riesigen Schatten auf das Wasser
warf. Perses, unser Steuermann, deutete auf das weiße Segel und
stieß hervor:
„Ich hoffe, daß ich mich irre. Aber dies kann die
weiße Bireme sein."
„Bei Zeus' Donner", fuhr ihn Nestor quer über die
Länge des Schiffes an. „Bist du vom Dämon
geschlagen?"
„Alle erzählen von einem spitzen Segel!" schrie
Perses zurück. „Dies ist ein solches Stück Leinwand!"
Ptah-Sokar tauchte zwischen den Ruderbänken auf und rief:
„Zu den Waffen! Wir lassen uns nicht überraschen."
Es gab nicht mehr Informationen über die weiße Bireme.
Niemand wußte mehr. Aber mit beängstigender Schnelligkeit
bewaffneten sich mehr als fünfzig Männer. Helme wurden
aufgesetzt und ihre Bänder festgezurrt. Bögen erschienen in
den Händen der Männer, Köcher auf ihren Rücken.
Die Schilde, geformt wie zwei ineinander verschmelzende Kreise,
wurden über die Bordwand gehängt. Lanzenspitzen funkelten
auf. Ich entsicherte den Strahler in meinem Kampfbeil. Ptah, Nestor,
Perses, Merops - der zweite Steuermann und ich blieben im
hochragenden Heck der CHARIS. Das andere Schiff kam auf einem Kurs,
der im spitzen Winkel zu unserer Fahrtlinie verlief, rasch näher.
Das Segel ragte tatsächlich fast senkrecht in die Höhe, da
die Rah an Steuerbord festgehalten wurde und ihre größere
Länge unterhalb des Masttopps das Segel trug.
Weitere Kostenlose Bücher