PR TB 229 Im Tödlichen Schatten
raffiniert übereinandergesetzt
worden. Als ein erstes Teilstück zu Boden fiel, lösten sich
darüber und darunter einzelne Segmente, kippten nach außen
und rissen andere mit sich. Es dauerte nicht lange, dann bildeten
sich Wolken aus Gesteinsstaub, und schließlich lagen sämtliche
Bruchstücke in einem ringförmigen Haufen am Fuß des
Projektils.
Erstaunte Aufschreie und wildes Murmeln waren zu hören, als
wir bis auf Ocir zu den Wartenden stießen.
»Das ist die Fackel«, sagte ich, »mit der wir
die große Wolke versengen werden. Wir müssen weiter
zurückgehen, sonst werden wir geröstet.«
Das Projektil war glatt und schlank, lief in eine Spitze aus und
stand auf einem Ring größeren Durchmessers, der die Löcher
der Abgasöffnungen enthielt. Ocir hantierte bereits an der
Schaltung und stellte die Zeituhr ein.
Songy wandte sich an uns und fragte:
»Was geschieht jetzt?«
Mah-Dhana erklärte ihnen, daß Flammen und Rauch
hochschlagen und die Fackel mit sich reißen würden. Er
berichtete teils zutreffend, teils in abenteuerlichen Schilderungen,
wie das Feuer der Fackel auch die Wolke verbrennen würde. Sie
hörten ihm alle mit weit offenen Mündern zu und schüttelten
ungläubig die Köpfe.
Ocir rannte auf uns zu und rief:
»Zählt bis zweihundertfünfzig! Ist niemand mehr in
der Ruine? Wir müssen weiter zurück.«
Wir zählten, Namen wurden gerufen, zwei Männer kamen aus
dem Gebüsch gesprungen, und wir bewegten uns auf dem geräumten
Pfad langsam rückwärts. Die Erwartung packte uns und ließ
die aufgeregten Unterhaltungen leiser und leiser werden. Schließlich
blieb Ocir stehen, der uns zurückgetrieben hatte. Er sagte
halblaut:
». einundfünfzig, fünfzig, neunundvierzig.«
»Ein Zauberer!« flüsterte ein Eingeborener. »Er
spricht Beschwörungen.«
Nur noch zwei Fackeln leuchteten. Ein letzter Rest Sonnenlicht
brach sich in der Metallsäule. Im Dschungel, der sonst vor Leben
und Geräuschen barst, war es totenstill. Es hatte vor einigen
Stunden zu regnen aufgehört, wir vernahmen auch keine
Donnerschläge. Wir starrten gebannt auf das Projektil.
». vierzehn, dreizehn.«
Die Säule sah kalt und abweisend aus, wirkte wie ein
Fremdling von einer anderen Welt. Sie schien uns allen das Symbol
geballter, noch schlummernder Kraft zu sein; auch den Eingeborenen,
die ihren Eindruck schwer in Worte fassen konnten. Ocir warnte:
»Öffnet die Münder! Haltet euch die Ohren zu.«
Wir gehorchten. Eine kleine Flamme, ein gewaltiges Krachen, das
zwischen den Stämmen widerhallte, dann eine riesige Flut aus
Feuer und Rauch, die unter der Säule nach allen Seiten schlug,
machte jedes Denken unmöglich. Die jähe Hitze verwandelte
Wasser in Dampf und erzeugte eine gewaltige weiße Wolke, in
deren Innern es tobte, zuckte und kochte. Langsam erhob sich das
Geschoß, machte in Höhe der Stämme einen Satz und
fuhr wie ein Blitz durch die Öffnung im Geäst. Kochender
Dampf schlug in unsere Gesichter und vertrieb uns.
Als wir in die Richtung rannten, aus der wir gekommen waren,
hörten wir noch lange das Donnern und Röhren des
Projektils, das über dem Wald auf die Wolke zuraste. Sehr viel
später erschütterte der dumpfe Knall der Explosion, die in
großer Höhe stattgefunden hatte, den Dschungel. Nur ein
paar Zweige nahe der Ruine hatten Feuer gefangen.
Durch das Sirren und Singen in meinen Ohren schrie ich den anderen
zu:
»Es ist früher Morgen. Wollen wir rasten oder
zurückmarschieren? Dort vorn, irgendwo, ist sauberes Wasser.«
»Und Sonne!«
»Viel bessere Plätze zum Ausruhen gibt es im Dorf!«
schrie Tabarna zurück und stocherte mit dem kleinen Finger im
Ohr. »Ich bin dafür!«
Er machte auffordernde Gesten in die Richtung des anderen
Wegendes. Halbherzig stimmten fast alle zu. Der Rest schloß
sich der Mehrheit an, und spät abends kamen wir, vollkommen
erschöpft, aber glücklich, im Fischerdorf an.
Jetzt erst, nachdem alles vorbei war, packten mich gleichzeitig
die Nachwehen der Furcht und das heiße Glücksgefühl
eines Mannes, der in letztem Augenblick gerettet worden war.
Neben dem Feuer ließ ich mich in den Sand fallen, zerrte die
Stiefel von den Füßen und rief:
»Palmwein! Und. wo ist Charis?«
An diesem Abend gab es kein Fest. Wir badeten kurz im Fluß
und warfen uns in den warmen Sand. Wir schliefen alle fast
augenblicklich ein.
9.
Die AXT DES MELKART wurde auf den Strand gezogen und ausgebessert,
gesäubert und, wo nötig, neu ausgerüstet. Einen Riß
im Segel galt
Weitere Kostenlose Bücher