PR TB 229 Im Tödlichen Schatten
Tage.
10.
Eine endlose Kette von Trägern bewegte sich zwischen dem
schrägen Loch und dem Fuß des Hügels. Männer und
auch auffallend viele Frauen trugen große Körbe voll
Erdreich und Steinen auf den Schultern oder auf dem Kopf, leerten sie
auf den Haufen, kamen wieder zurück und fingen den Weg von neuem
an. Seit mehr als drei Tagen riß die Schlange nicht ab. Nachts
beleuchteten Feuer und Fackeln die Arbeit. Andere gruben sich schräg
dem Ziel entgegen, sozusagen Hand um Hand.
Das Begräbnis mußte unter schauerlichen Riten vollzogen
worden sein.
Vor dem Eingang zur Grabkammer und unter den zusammengebrochenen
Balkendecken der Rampen lagen die Reste von Männern, deren
Skelette noch Bronzegefäße in den Händen hielten.
Andere klammerten sich an lange Hellebarden mit riesigen, bronzenen
Blättern. Den Männern und den kostbar herausgeputzten
Hunden waren die Köpfe abgeschlagen worden. Wir fanden die Reste
von Kampfwagen, Pferdegerippe, Knochen von Reitern und eine Unmenge
Beigaben.
»Sie haben offensichtlich den gesamten Hofstaat des letzten
Shang-Königs geopfert«, sagte schaudernd Charis. Ein Teil
der langen Metallsäule war bereits freigelegt worden.
»Ein Gefolge, das dazu diente, den Fürsten bei der
Reise in die andere Welt zu begleiten«, meinte ich. »Denke
an das Begräbnis des Kahomaze der Skythen.«
Am Ende der Rampe entstand ein Startgerüst, das mitsamt dem
Projektil hochgezogen werden konnte; ein riesiges Gestell aus langen
und kurzen Hölzern, die hervorragend verzapft waren. Unmengen
von Seilen liefen über senkrecht aufgestellt Bäume mit
Bronzerollen. Wir holten die Umlenkzüge aus dem Schiff und
probten mit den Arbeitern das Aufrichten des Turmes.
Es gab kurze Essenspausen. Ab und zu verschwanden kleine Gruppen
der Arbeiter und warfen sich auf feuchte Strohlager. Wir schliefen im
Schiff. Aber
immer wieder trieb uns die Aufregung und die Neugierde hinaus.
Inzwischen befanden sich kaum weniger als tausend Arbeiter hier.
Bauern aus der Umgebung brachten gebratene Hunde, Teile von kleinen
Hausschweinen, Fleisch von Schafen und Rindern. Große Töpfe
einer merkwürdigen Mehlspeise wurden an federnden Bambusstangen
in Kesseln herbeigeschleppt - es waren Streifen von glitschigem Teig,
der in Wasser oder salziger Brühe gekocht worden war. Darin
waren Pilze, Erbsen, Fleischstücke und Zwiebeln. Das Gemenge
schmeckte ungewohnt, aber nicht schlecht. Zwei Drittel des Projektils
waren frei, wurden mit Stricken umwickelt und an Tragebalken
befestigt. Noch immer sammelten die Männer Knochen und Waffen
und betteten sie fluchend in Körbe. Dicht vor dem Grab fanden
wir rund einhundert Schädel. Viele davon wiesen die Löcher
von Axthieben auf, andere waren unversehrt - hatte man die Sklaven
erdrosselt oder vergiftet? Einmal ließ ein Arbeiter einen
Schädel fallen, der den Hang abwärts rollte und die
Korbträger kreischend auseinanderspringen ließ. Die
Soldaten trieben sie mit den Hellebarden wieder in die Reihen zurück.
Pferdegespanne wurden angeschirrt.
Am Ende des vierten Tages zogen wir das Projektil die schräge
Rampe hinauf. Zweihundert oder mehr Arbeiter schleppten die
Metallsäule, zwanzig Pferde zogen sie auf den Turm zu und auf
die vorbereiteten Lager, die aus Holz, Binsen und Seilschlingen
bestanden.
Noch während wir die Pferde einspannten und die Stricke
straff zogen, fingen die Arbeiter bereits wieder an, den Aushub vom
Fuß des Hügels ins Grab zurückzuschleppen. Eigentlich
müßte, wenn so viele Menschen so erbittert arbeiteten,
selbst mit derart simplen Methoden, das Land von Reichtum und gutem
Leben für alle förmlich bersten. Es machte auch nicht
andeutungsweise den Eindruck.
Shan tzu yai, der Verantwortliche dieses Fürstentums, stand
neben mir. Hinter uns wärmte eine Glutschale die Umgebung und
tauchte sie in rotes Licht. Ich wandte mich an ihn und stellte eine
provozierende Frage.
Ȇberall, wo wir, durch Orakel oder andere auffallende
Ereignisse angekündigt, erschienen und die Himmelsfackel
suchten, empfingen uns die Menschen jubelnd und voller Freude. Warum
nicht hier, auf der Großen Ebene?«
Er sah zu Boden und suchte lange nach den richtigen Worten.
Schließlich heftete er seine schwarzen Mandelaugen auf mich und
sagte:
»Wie du weißt, haben die Chou-Nomaden aus dem
Nordwesten die ChangHerrscher abgelöst.«
»Wir wissen es.«
»Nomaden streifen umher, tragen alles, was sie besitzen, bei
sich, auf dem Rucken der Pferde. Jetzt sind wir seßhaft,
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