PR TB 229 Im Tödlichen Schatten
Gruppen, die von allen Richtungen auf ein
gemeinsames Ziel zuzulaufen schienen. Reiter waren dabei und die
hochrädrigen Karren. Jeder von uns hing halb über der
Bordwand, über dem Heck oder Bug und blickte aus großer
Höhe auf die Zeichen der Landschaft, die großflächigen
Geoglyphen. Auf kleinen Nebenflüssen und über die vielen
Seen, die sich inmitten von sorgfältig angelegten Baumstreifen
befanden, ruderten und stakten Menschen in flachen Booten.
»Unsere Arbeiter!« rief Tabarna. Unser Weg wurde vom
Seeadler begleitet. Ocir-Khenso stand neben mir am Ruder und
kontrollierte unseren Kurs. Hinter uns stieg die Sonne, berührte
schließlich hinter den Regengüssen, den kleinen Windhosen
und den hungrigen Fingern der Randzone die
Wolkenunterseite. Wieder raste eine Trennungslinie zwischen Hell
und Dunkel über das Land. Unmerklich veränderte sich die
Ebene - es gab tiefere Täler und ausgedehnte, höher
gelegene Felder und Weiden. Je weiter wir nach Westen vorstießen,
desto dunkler wurde es. Die Wolke dehnte sich nach drei Seiten
scheinbar ins Unendliche aus, nur hinter uns sahen wir freien Himmel.
»Warum sind sie so feindselig gewesen, Atlan?« fragte
Charis, als wir bereits abschätzen konnten, wann wir das riesige
Grab des letzten Herrschers vor den Chou-Einfällen erreichen
würden. Ich zuckte die Schultern; auch Ocir wußte nichts.
»Wahrscheinlich deswegen, weil sie unsicher sind. Erst seit
etwa fünfundsiebzig Jahren herrschen die Nomaden.«
»Wir werden es erfahren, wenn wir mit einzelnen in Ruhe
sprechen können«, beschied uns Ptah-Sokar.
Am Ende eines langen Fluges erreichten wir den Grabhügel.
Er ragte mit seinen einzelnen Findlingen, den siebzig Jahre alten
Bäumen und den vier Zufahrtswegen unverkennbar aus der Umgebung
heraus. In geringer Entfernung gab es einige Teiche, die von
faulenden Lotuspflanzen oder Seerosenteppichen bedeckt waren. Wir
landeten das Schiff auf dem nächstgelegenen Teich und rammten
den Bug tief in den Uferwall. Es waren bereits Arbeiter eingetroffen;
einige Feuer brannten, riesige Bronzekessel hingen über den
Flammen, Hütten wurden aufgestellt, in den nassen Weiden
stapften die Pferde tiefe Locher und fraßen kümmerliches
Gras.
»Zehn Mann bleiben an Bord!« bestimmte ich. »Zündet
die windgeschützten Laternen an!«
Eine Planke wurde zum Ufer hin ausgebracht, und wir gingen von
Bord. Die Arbeiter hatten die Ankunft des Schiffes staunend und
entgeistert mitangesehen. Noch einmal verglichen wir die Karte mit
der Wirklichkeit. Erst als das Extrahirn mir bestätigte: Ihr
habt das Ziel genau angesteuert, war ich beruhigt. Ocir-Khenso
stemmte die Fäuste in seine Seiten und rief:
»Hier ist die Himmelsfackel verborgen. Grabt dort, wo Chao,
der letzte Herrscher, begraben wurde.«
Das eigentliche Grab aus Steinen, Felsbrocken, gestampftem Lehm
und Balkenwerk war etwa zwölf mal zwölf Schritte groß
und ebenso tief. Zwei schräge Rampen, einst offen und mit
Steinmauern abgestützt, jetzt längst gefüllt und
bewachsen, führten zur Grabsohle hinunter und wieder hinauf. Die
beiden anderen Wege dienten nur der Symmetrie. An den Rändern
der eigentlichen Grube befanden sich die unregelmäßigen
Findlinge, halb im Boden, halb von den knorrigen Baumwurzeln verdeckt
und umschlungen. Überall auf dem Hügel wuchsen Bäume
mit kleinen Blättern, deren Namen wir nicht kannten. Aus dem
verfilzten Gras entlang der zwei Rampen ragten helle Steinfiguren
hervor. Sie trugen Löwenköpfe und besaßen die Körper
von Fabeltieren; Schwimmfüße, Pferdeschwänze, Klauen
und Krallen. Unmittelbar vor dem Grab selbst kauerten zwei
stierleibige, adlerköpfige Wesen mit Löwentatzen und
starrten uns kalt an.
Ein Mann mit breiten Ledergurten, die sich auf Brust und Rücken
kreuzten, trat auf uns zu und fragte in ruhigem Ton:
»Was sollen wir tun? Wo sollen wir graben? Es sind noch
längst nicht alle Arbeiter eingetroffen.«
»Ocir-Khenso«, rief ich laut, »Vater der
Klugheit, Bruder der Stärke - sage es ihnen.«
Einige Dutzend Arbeiter mit ihren hölzernen Spaten,
Grabstöcken und ähnlichem Gerät hörten aufmerksam
zu, wie ihnen Ocir die Arbeit beschrieb. Nach den Auskünften,
die wir von ES hatten, lag das Projektil teilweise auf dem untersten
Ende der Rampe, zu einem Drittel im eigentlichen Grab. Wir konnten
nicht die geringsten Spuren dafür erkennen, daß ES jenes
riesige Ding dort vergraben hatte. abermals ein unbegreifliches
Rätsel.
Die Grabung dauerte nicht ganz vier
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