PR TB 245 Das Ende Eines Herrschers
Jetzt zeige ich dir eines unserer
Geheimnisse.«
»Chandragupta ist auf dem Weg hierher«, sagte Shastry
leidenschaftlich. »Er will uns loben und belohnen.«
Ich klappte die Truhe auf, schaltete den Bildschirm ein und rief
von Rico einen Zusammenschnitt der wichtigsten Meldungen ab. In der
kurzen Pause erklärte ich dem Eingeborenen, daß er Bilder
sehen würde, wie sie ein Vogel sah. Er kam näher, beäugte
mißtrauisch die technische Ausrüstung und erschrak, als
auf dem Schirm die winzigen, farbigen und dreidimensionalen Gestalten
auftauchten. Tausende und aber Tausende - das Heer des Eroberers auf
dem Indus.
»Schreibe Chandragupta«, murmelte ich, »daß
er in tödliche Gefahr gerät, wenn er im Lauf der nächsten
fünf Monde hierher kommt. Unterscheidest du die Bewegungen?
Erkennst du die Bedeutung?«
Wir sahen förmlich, wie es in ihm arbeitete. Er sah die
Soldaten und den Troß, die Schiffe und die Lasttiere. Langsam
wichen seine Zweifel und machten Furcht und Einsicht Platz.
»Es sind Menschen. Mit Waffen. Unendlich viele Krieger!«
stammelte er.
»Mehr als fünfzig Tausende!« brummte Atagenes
unbehaglich.
»Deine Männer, Atalantos?«
Ich schüttelte den Kopf und beobachtete die einzelnen Phasen
des Vormarsches dieses wandernden Volksstamms.
»Nein. Weit gefehlt. Das Heer eines Eroberers, den ich
kenne. Weil ich ihn nicht liebe, bin ich hier. Dieses Heer walzt
jeden Widerstand nieder. Die Nachrichten deiner Vögel werden es
dir sagen. Dieses breite Wasser, auf dem seine Schiffe schwimmen, ist
unser Fluß - der Indus.«
Verwirrt, voll Entsetzen sagte er:
»Sie kommen hierher! Nach Pattala! An die Stelle, wo sich
der Indus dreimal verzweigt!«
»Es wird etliche Monde dauern«, erklärte ich.
»Hört gut zu, was wir dir erzählen, und berichte es
an Chandragupta!«
Er beugte sich vor, und in seinem Gesicht stand konzentrierte
Aufmerksamkeit. Er verschlang förmlich jedes unserer Worte, die
wir mit Bildern und flüchtigen Zeichnungen unterstrichen. Wir
schilderten Alexander, sein Heer und seinen unaufhaltsamen Weg durch
das eroberte Großreich und über dessen Grenzen hinaus. Die
Bilder ließen den Eingeborenen das Problem deutlich erkennen.
Wir rieten ihm, daß Chandragupta einige Jahre
warten und weitere Ruhepunkte - wie Pattala einer war - schaffen
sollte. Erst dann, wenn Alexander fortgezogen war, konnte der
eingeborene Herrscher versuchen, sein Reich zu erobern. wenn er Manns
genug war, dieses Vorhaben durchzuführen.
Schließlich hatten wir fast all unser Wissen vor Shastry
ausgebreitet. Er schwieg starr und betäubt. Dann raffte er sich
auf und fragte:
»Was können wir tun? Du, Atalantos und wir, die Leute
aus Pattala?«
»Warten, bis Alexander eintrifft.«
»Wie lange?«
Ich hob die Schultern. Es konnte sechs Monde oder ein Jahr dauern.
Dann sagte ich:
»Wenn er hier erscheint, werde ich mit ihm reden. Wir
unterwerfen uns. Das ist die einzige Möglichkeit, unsere Stadt
zu retten.«
»Kannst du das schaffen?« fragte er ängstlich.
Atagenes stieß ein rauhes Lachen aus und knurrte:
»Wenn es einer vermag, dann nur Atalantos!« Ich hob
die Hand und versuchte, mit meiner Selbstsicherheit Shastry
anzustecken.
»Bis zu dem Tag, an dem Alexander Pattala wieder verläßt,
arbeiten wir weiter, als sei nichts geschehen. Und für die Zeit
danach finden wir sicher eine ebenso schöne Aufgabe.«
Shastry stand auf und schüttelte den Kopf. Es brauchte nicht
viel Phantasie, um die Bedrohung im vollen Maß zu erkennen. Er
glaubte nicht, daß ich in der Lage war, das Schlimmste von
Pattala abzuwehren. Ich wußte es besser. Unruhig trank er den
Becher leer und verließ schweigend unser Haus. Wir sahen hinter
ihm her und waren voller düsterer Ahnungen. Atagenes meinte
endlich:
»Gehen wir wieder hinaus und arbeiten weiter, Atalantos. Wir
tun etwas Sinnvolles. Nichts von dem, was wir den Eingeborenen
beibringen, geht wirklich verloren. Und was Alexander angeht, so ist
er noch lange nicht am Ende seines Weges.«
Ich nickte ihm zu, packte meine Zeichnungen und Berechnungen ein
und half den Eingeborenen, den Wirkungsgrad der Getreidemühle zu
verbessern.
9.
5. Jahr: Sommer
Dreitausend Bogenschützen, eintausend berittene
Bogenschützen, fünfunddreißig Tausendschaften aus der
griechischen Heimat, achtzehn Hundertschaften Makedonen, dazu
persische Reiter und griechische Söldner bildeten die Einheiten
des Heeres von etwa fünfzig Tausendschaften.
Elefanten mit eingeborenen Lenkern kämpften
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