PR TB 245 Das Ende Eines Herrschers
was auch keiner betonte:
Sie alle würden für ihn sehenden Auges in den Tod gehen.
Sie würden sich opfern für ihn. Für Atlan, der, um
ihnen etwas zu zeigen, in den stinkenden Morast sprang, die Axt am
besten schwang, in die Bäume kletterte oder Gewürz in die
gehackte Fleischmasse der Würste streute und solange probierte,
bis sein Gesicht aufleuchtete. Für den Mann, den ich liebe, der
nächtelang an Lehmwürfeln herumschnitzte, um den Barbaren
zu zeigen, wie ihre Stadt aussehen würde, wenn alle unsere
Anstrengungen beendet waren.
Er feuerte die Menschen an, riß sie mit sich, und ich
entschuldigte bei ihm ihr Versagen. Er verlangte von keinem mehr, als
er selbst zu jeder Zeit zu leisten bereit war. Aber er war keiner von
ihnen. Er ist etwas Besonderes, und ich versuchte immer, ihn
aufzurichten, die vielen Male, wenn er mutlos wurde, weil die Dinge
nicht so liefen, wie er es wollte.
Sie alle, die Barbaren, waren zu scheu und von ihm derart
überwältigt, daß sie verlegen wurden, wenn sie
spürten, daß aufgrund seiner Ideen ihr Leben abermals
einen Schritt besser und leichter wurde. Heilten wir ihre Geschwüre
und Krankheiten, so bedankten sie sich bei mir und warfen ihm halb
furchtsame Blicke zu.
Es ist ein klassischer Fall von unverstandener, unverständlicher
Liebe. Atlan
liebt die Barbaren, denn sonst würde er nicht mit einer
solchen Besessenheit für sie arbeiten.
Sie lieben ihn, sind aber unfähig, dies auszudrücken.
Trotzdem: wenn ein Kind ihm eine Frucht bringt und ihn damit lächelnd
beschenkt, dann wird er verlegen und daher grob. Ich bin es, die
sieht, wie seine Augen feucht werden.
Pattala!
Eines fernen Tages, in einem weit entfernten Jahr, wird diese
Stadt eine Stadt sein mit allen Begleiterscheinungen. Wir hatten
getan, was wir konnten. Meine Aufgabe war es, über die Kinder,
die Frauen und Mütter zu wachen und zu verhindern, daß
Sklaverei entstand oder ein ähnlich würdeloser Zustand.
Dadurch, daß die Menschen ihre Gebete in ihren Häusern
verrichteten und nicht darauf hören mußten, was ihnen die
Priesterkaste der Brahmanen einflüsterte, schufen wir ein System
individueller Freiheit, das sich - vielleicht - ausbreiten würde.
Während der äußere Bereich unseres Lebens ein
einziges, mehr als vier Jahre andauerndes Erfolgserlebnis war, nahm
meine Unsicherheit im Innern zu.
Alexanders Heer hatte den Hauptast des Indus erreicht und bewegte
sich langsam nach Süden, also auf das Delta und das Meer zu. Es
war abzusehen, daß sie auch Pattala erreichten mit ihren
Schiffen, den Marschierern und dem gewaltigen, beutestrotzenden Troß.
Ich wußte, daß Atlan und Alexander durch ein geheimes
Band aneinander gefesselt waren, von dem ich als Frau nichts wußte.
Ich spreche nicht von dem Zellaktivator. In gewisser Weise waren
beide Männer austauschbar. Ich wußte mit Sicherheit, daß
zumindest Atlan an Alexanders Stelle all jene Heldentaten vollbracht
haben würde. Und Alexander, der mittlerweile knapp sechzig
Städte gegründet und ausgebaut hatte - die meisten trugen
seinen Namen! -, würde für Pattala das gleiche erreicht
haben wie Atlan, aber auf andere Weise. Atlan konnte das Leben des
jungen Feldherrn beenden, und diese Möglichkeit schuf ein
Abhängigkeitsverhältnis, das vorwiegend geistig war und
rational nicht erfaßbar.
Ich kannte Atlans Ziel: die Rückkehr in seine Welt. Auf
seinen Planeten, wie er es nannte.
Ein ähnlich großes, ebenso unerfüllbares Ziel
hatte Alexander. Er wollte die Welt beherrschen. Nicht deswegen, weil
er mächtiger wurde, sondern aus diesem Grund: er wußte mit
der Sicherheit einer göttlichen Eingebung, daß sein
Konzept richtig war.
Ich fürchte mich vor dem Moment, an dem beide Männer
wirklich aufeinanderprallen würden. Auf ihre Weise waren sie
gleich stark. Es würde ein entsetzliches Ende ergeben.
Kann ich etwas dagegen tun?
Ich fürchte, die Antwort darauf lautet: nein!
Wie soll dieser tollkühne, versteckte Kampf um tausend
geistige Ecken herum enden?
ATALANTOS:
Rund vier Monde nach dem Tag, an dem Alexander auf einem der
vielen Schiffe den Indus abwärts segelte und ruderte, zu beiden
Seiten von seinem Heer begleitet, führte ich Atagenes und
Shastry durch den großen Empfangsraum in mein Arbeitszimmer.
Langsam zog ich die schweren Vorhänge aus farbiger Wolle
zusammen. Der Raum lag im Halbdunkel.
»Du hast«, wandte ich mich an den Meister aller Jäger
und Obersten Wächter Pattalas, »mit Maurya viele
Botschaften getauscht.
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