PR TB 245 Das Ende Eines Herrschers
offen vor mir. Mich erfüllte ein
Zorn, der über jeden bewußten Grad kalter Wut hinausging.
Ich sah am Fuß meines Bettes den Diener kauern. Er schlief. Ich
tappte zum Tisch, füllte den Becher mit kaltem Wasser und trank
ihn leer. Schmerz und Rausch waren vergangen, ich fühlte mich
klar, aber sehr schwach. Der Logiksektor flüsterte:
Du wirst es überleben. Mein Rat ist, den Aufenthalt
abzubrechen. Auch wenn Alexander noch ein Jahrhundert lebt, werdet
ihr nicht einmal das Startgerüst deines Raumschiffs bauen
können. Geh zurück, schlafe und warte, Atlan!
»Davor ist noch einiges zu erledigen!« sagte ich. Der
Diener wachte auf, zündete Öllampen an und behandelte mich,
als sei ich ein Genesender, womit er völlig recht hatte. Meine
Gedanken waren von luzider Klarheit. Ich erkannte jeden der vielen
Irrtümer, und schließlich zog ich das Armband vom
Handgelenk.
Alexanders Stimme würde niemals mehr aus diesem winzigen
Hochleistungslautsprecher ertönen. Dann nahm ich den Ring vom
Finger, mit dem ich nur eine einzige Schaltung ausführen konnte.
Lange saß ich da und schwankte zwischen Rache und
Bestrafung, zwischen Nachsicht und Verständnis, zwischen
»menschlichen« Einflüsterungen und der Überlegung,
was für diesen Planeten wichtiger sei, für diese arme,
geschundene, wilde Welt, in der das Schicksal der einzelnen weitaus
mehr von dem Wohlwollen der Feldherren abhängig war als von
Selbstbestimmung und dem eigenen Können. Dann, an einem Punkt
der Überlegungen angelangt, der keine Rückkehr mehr
erlaubte, schob ich die Hälften des Ringes gegeneinander.
Damit desaktivierte ich das Amulett des Amon, den Zellaktivator
des Makedonen.
Dann schlief ich ein. Ich schlief lange, tief und traumlos. Und
als ich aufwachte, hatte sich der Charakter Babylons abermals
verändert.
Nearchos war es, der mir die Wahrheit berichtete. An einem der
letzten Tage des fünften Mondes hob Alexander, wieder betrunken,
den Pokal, und mitten in einem Trinkspruch griff er an seine Brust
und sank in die Kissen zurück.
(Der Zellaktivator löste sich zu Asche auf. Dabei entwickelte
er starke Hitze. Nur die Kette blieb übrig.)
Alexander starb zehn Tage lang. Des Schutzes beraubt, griffen
seine Krankheiten an: das übermäßige Trinken, die
Lungenverletzung, das ungesunde Klima der babylonischen Sümpfe,
die allgemeine körperliche Verfassung und die Gifte eines
hemmungslos betriebenen Lebens ohne jede
Rücksicht der eigenen Leistungsfähigkeit gegenüber.
Der Damm war geborsten; Alexander siechte dahin.
Ich packte meinen Gleiter und versuchte, nichts zu vergessen.
Dinge und Menschen zogen an mir vorbei wie Schatten an einer Mauer.
Zweimal ging ich in den Saal, in dem sie die Karten zeichneten, und
sorgte für Arbeit. Nach drei Tagen ließ man mich in den
innersten Raum des Palasts, in dem Alexander auf dem Krankenlager
ausgestreckt war.
»Hier bin ich, Herrscher«, sagte ich. Wenn er fähig
war, meinen Gesichtsausdruck richtig zu deuten, mußte er
erkennen, daß ich ihn in diesen Zustand versetzt hatte. Er
flüsterte:
»Muß ich sterben?«
Ich nickte, zog aus meinem Wams eine Rolle und antwortete mit
eisiger Kälte:
»Ja. Du wirst sterben, göttlicher Alexander. Dein
Amulett, das deine Gesundheit aufrecht erhielt, ist Asche.«
Er war so schwach, daß er sich fast nicht mehr bewegen
konnte. Nearchos, der meine Rolle als Heiler der Lungenverletzung
kannte, hatte mich gebeten, seinem Herrscher zu helfen. Ich hatte ihm
gesagt, daß niemand mehr Alexander helfen konnte.
»Was. ist geschehen?« fragte Alexander. In seinen
Augen dämmerte eine unbestimmte Ahnung. Ich rollte die Karte
auseinander und ging näher an sein Bett heran. Alexanders heißer
Atem roch faulig.
»Du makedonischer Hund«, sagte ich leise und jenseits
aller Leidenschaften. »Du kleiner, betrunkener Zwerg, dem seine
schwachsinnige Mutter mit ihrer dünnen Milch eingab, daß
er ein Gott ist, du hast dich ausgerechnet an meiner Freundin
vergreifen müssen. Das Amulett - du hättest Hunderte von
Jahren leben können, hirnloser Bruder eines Narren! -hast du in
Wirklichkeit von mir bekommen. Ich habe es zerstört, damit du
einen hündischen Tod hast, göttlicher Alexander.«
Ich holte tief Atem und beobachtete ihn. Jeder Satz war, denn er
erkannte endlich die Wahrheit, wie ein Keulenhieb auf seinen
schweißnassen Schädel. Ich sah, wie sein Lebenswille
gebrochen wurde. Er sah, spürte, daß dies die letzte
Stunde der Wahrheit war, oder eine der letzten
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