PR TB 245 Das Ende Eines Herrschers
Die
röhrenförmigen Metallgongs wurden geschlagen, und unzählige
Stimmen riefen Abschiedsworte und beschworen den Segen der Götter
auf uns. Charis weinte lautlos. Ich ging ein paar Schritte ins
Dunkel, damit den anderen meine Rührung verborgen blieb. Es war
Chingo, der mich fand und zu den anderen zurückholte. Wenigstens
an einem einzigen Ort dieses Planeten schätzten die Barbaren,
was ich für sie getan hatte. Wieder wisperte das Extrahirn
belehrend:
Auch an anderen Stellen erinnert man sich gern an dich. Deine
Schuld - du warst es, der stets auf Nimmerwiedersehen verschwand!
Zutreffend.
Ich warf einen langen, letzten Blick auf die vielen Lichter und
suchte Charis. Sie sprach im Hintergrund mit Athyra und klatschte im
Takt der Musik in die Hände. Die beiden sahen aus, als hätten
sie zusammen ein Geheimnis. Ich würde es erfahren, also trank
ich einen Schluck Wein und setzte meinen Rundgang fort. Shastrys
Krieger waren es gewesen, von denen der Einfall mit den Lichtern
stammte, diese elefantenreitenden Schurken!
Nach Stunden löste sich das Fest auf. Zurück blieben ein
Chaos aus Essensresten, blakenden Lampen und leeren Bechern - und
wir. In dieser schwülen Nacht in Pattala liebten wir uns, als
sei es das letzte Mal. Und doch wußten wir beide, daß ES
uns eine Art von Zukunft zugesichert hatte, in der wir uns immer
wieder trafen, fast unvorbereitet, ohne Erinnerung, ein altes, neues,
junges Liebespaar, das sich seit Jahrhunderten kannte und immer neu
entdecken mußte. Ohne daß uns jemand nachblickte, stiegen
wir mit dem Gleiter im Morgengrauen auf, nur von dem schwarzen Adler
begleitet. Noch funktionierte er leidlich, aber er sah aus, als sei
er in der Mauser.
10.
Seit ich - wann? Vor Jahrtausenden jedenfalls - mitgeholfen hatte,
Babylon zu erbauen, hatten sich die Gebäude, wenig aber der
Grundriß verändert. Alexander stattete uns mit Dienern,
einem kleinen Stadtpalast in der Nähe der Palmengärten, mit
Pferden und Vorräten aus und tat, als wäre ich sein lange
verschollen gewesener Bruder. Ich begegnete ihm mit tiefstem
Mißtrauen und erfuhr, daß er die Wirkung des Ringes, mit
dem er mich herbeirufen konnte, der Macht der Götter zuschrieb.
Ich zuckte die Schultern und ließ ihm seinen Glauben. Als
ich ihn zum erstenmal sah, war ich erschüttert.
Alexander war ein guterhaltenes Wrack. Seine Versuche, mit Wein
eine Betäubung herbeizuführen, die vorangegangenen
Anstrengungen der Feldzüge und die schwere Verletzung hatten
seinen Körper gezeichnet. Seine Augen schienen uralt zu sein,
Lider und Tränensäcke hingen schwer herunter. Die Sehnen am
Hals traten scharf hervor, gleichzeitig war die Haut schlaff und
faltig. Der Zellschwingungsaktivator kämpfte gegen die Exzesse
an und verlieh ihm ein junges, falsch erscheinendes Aussehen. Er
wirkte fahrig und unausgeschlafen.
Von der Überlegenheit griechischer Götter, mit denen er
sich selbst verglich, hatte er nichts.
Er war allein, als ich an seinen Tisch trat. Er musterte mich
lange und sagte:
»Es ist Zeit, Dinge zu tun, an die wir früher nicht
dachten. Dein Haar ist weiß geworden, Atalantos. Nimm Platz.«
Er war klug genug, von mir weder Wangenkuß noch Kniefall zu
verlangen. Ich setzte mich und erwiderte:
»Ich habe mehr als zehn Jahre deine Feldzüge
mitangesehen. Das ist der Grund. Deine Schläfen sind kahl, und
graue Strähnen sind in deinem Haar. Warum hast du mich gerufen?«
Sein Blick ging durch die Bögen der Türen in den
Palastgarten, vorbei an den Lanzenträgern und Wachen. Dann
krümmte er die Schultern und sagte: »Du erinnerst dich,
Atalantos, als wir vor einem Jahrzehnt miteinander sprachen? Ich habe
ein riesiges Reich erobert, und nun muß ich alles
zusammenfügen. Nur ich kann es; die Provinzen brauchen eine
harte Hand. Ich bin durch die bekannte Welt gezogen, und man kann mir
nicht sagen, wie diese Welt wirklich aussieht. Viele Karten besitze
ich, aber sie zeigen nur Ausschnitte und können nicht
zusammengefügt werden. Ich brauche Rat. Ich will die Dinge in
ihrer Wahrheit erkennen.«
»Herrscher«, sagte ich und sah zu, wie er aus den
Truhen die Karten hervorkramte, aufrollte und betrachtete, »deine
Finger zittern. Du bist unruhig. Um zu herrschen, brauchst du die
Ruhe der Seele. Das kann ich dir nicht vermitteln, selbst wenn ich es
möchte.«
»Kannst du mir sagen, wie all die Flüsse fließen,
in welches Meer sie münden, wo der endlose Ozean ist, der sich
um die Welt windet?«
»Bringt dieses Wissen deine
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