PR TB 246 Expedition Ins Totenreich
die
Geschwätzigkeit, das Hin und Her der Worte wirkte aufgesetzt,
die Ausgelassenheit verkrampft, die Fröhlichkeit gezwungen. Und
noch während Sayla beobachtete, schien die Veränderung
fortzuschreiten. Eine Art Dunst stieg vom Boden auf und trübte
den Blick. Der Nebel wurde dichter.
Sayla blinzelte.
Nebel? dachte sie irritiert. Und beruhigte sich mit dem Gedanken,
daß irgendwo ein Holo-Projektor seine Arbeit aufgenommen hatte.
In einer Stadt aus Stahl, Glas und Kunststoff, dachte Sayla Heralder
und schwang sich zurück in den Antigravschacht, in einer Stadt,
die im Nichts zwischen den Sternen schwebt, ist die Realität zu
übermächtig, um ertragen werden zu können. Deshalb
gibt es die künstlichen Gärten, die imaginären Wüsten,
Wiesen und Wälder, in die sich die Korridore verwandeln, die
holografischen Tricks, die Weite vorgaukeln, wo Enge ist, und die den
Arkonstahl seine bedrückende Unverrückbarkeit nehmen.
Sie schwebte höher. Auch im Antigravschacht war der Nebel und
verdichtete sich von Minute zu Minute. Dunstschleier verbargen die
anderen Passagiere des Kraftfeldlifts. Sayla fragte sich, ob sich
Troy endlich entschlossen hatte, den Namen des Nebeldecks durch diese
Tridi-Spielerei zu rechtfertigen, obwohl es seine Bezeichnung einem
terranischen Innenarchitekten verdankte, der vor vierzig Jahren
YANINSCHA im Auftrag der Kosmischen Auktion umgebaut hatte. Sie sah
nach oben, und schließlich schälte sich aus dem Nebel das
Flimmerfeld, das den Zutritt zum Nebeldeck versperrte. Eine
schlauchförmige Einbuchtung in dem glitzernden Feld nahm sie
auf. Sie preßte ihre Kodekarte gegen die stahlharte Wand aus
Formenergie. Ein verborgener Sensor tastete die magnetische Kodierung
der Karte ab und gab ihr den Weg frei. Durch die Strukturlücke
glitt sie hoher.
Und unterdrückte nur mühsam einen verwirrten Schrei.
Das Nebeldeck war gewöhnlich ein gewaltiger eiförmiger
Hohlraum ohne beengende Trennwände und Zwischendecken. Im
Zentrum, getragen von einem Fesselfeld, schwebte der Stahlball der
einstigen Kampfzentrale YANINSCHAS, und wie Planeten eine Sonne
umkreisten, wurde die Zentrale von gläsernen, luxuriös
ausgestatteten Wohnkabinen umkreist. Gravoprojektoren ermöglichten
es, auf der Innenseite des hohlen Rieseneies wie auf der Oberfläche
eines Planeten zu wandeln, und es war ein Anblick von eigenartigem
Reiz, wenn man den Kopf in den Nacken legte und weit über sich
Menschen sah, die scheinbar mit den Füßen von der Decke
hingen. Exotische Vegetation, künstliche Bäche, harmonisch
in die Landschaft eingefügte Plätze, Cafes, Pubs und
Freiluftrestaurants und andere Freizeiteinrichtungen nahmen der
Hohlwelt ihre Künstlichkeit und die farbenprächtig
leuchtenden Wohnkabinen in der Luft waren wie winzige Monde.
Aber jetzt war alles von dichtem Nebel eingehüllt. Sayla
konnte kaum die Hand vor Augen sehen. Der Dunst war feucht auf der
Haut; wie ein alter, nasser Lappen aus rauhem Tuch. Sayla fröstelte.
Diffuse Furcht stieg in ihr hoch und verfestigte sich zu einem Knoten
in ihrer Magengegend, als Schreie durch die Nebelschwaden gellten.
Entsetzliche Schreie wie von Wahnsinnigen, die das Böse in den
eigenen Seelen nicht mehr ertragen
konnten und es der Welt zubrüllten, in der verzweifelten
Hoffnung, von irgendwoher Hilfe zu erhalten.
»Troy!« keuchte Sayla. »Was hat das zu bedeuten,
Troy?«
Eine Last senkte sich auf ihre Schulter. Sie fuhr zusammen und
atmete erleichtert auf, als sie sah, daß es eine Stahlhand war.
»Was meinst du, Sayla?« fragte die Stahlhand
freundlich.
»Dieser Nebel, diese Schreie.« Sayla gestikulierte.
»Was soll das?«
Die metallenen Finger strichen über ihre Wange. »Welchen
Nebel meinst du, Sayla?« sagte die Stahlhand. »Und welche
Schreie? Ich sehe nichts, ich höre nichts. Alles ist wie immer.«
Ich werde verrückt, dachte die Frau von Grausen erfüllt.
Das ist es. Das ist die einzige Erklärung. Ich verliere den
Verstand.
Wind kam auf und zerriß die Nebelschwaden, trieb sie wie
Wattefetzen vor sich her, ließ den Dunst wallen und brodeln und
gespenstische Figuren formen. Wieder einer dieser Schreie. Lang und
schrill, von Qual und namenloser Angst kündend. Sayla begann zu
zittern. Der Wind zerzauste ihr kurzes Haar und wurde so stark, daß
ihre Augen zu tränen begannen. »Aber der Wind!« rief
sie.
»Es gibt keinen Wind, Sayla«, erwiderte die Stahlhand.
»Brauchst du mich noch?«
Der Wind verwandelte sich in einen Sturm. Sayla taumelte.
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