PR2602-Die Todringer von Orontes
sehr sie sie heute hasste!
Sie vermisste Rynol. Der Báalol diente den beiden Musikern als Katalysator, aber auch als Reibebaum. Sobald der Anti in seiner ruhigen, etwas behäbigen Art zwischen die Streithähne ging, stürzten sie sich gemeinsam auf ihn, um, nachdem sie ihren Ballast abgeladen hatten, wieder als die besten Freunde zu funktionieren.
So war es nun mal im Gefüge dieser Ansammlung bemerkenswerter Tonkünstler, und Tres hätte diese Zeit genossen, wenn nicht ...
»Entschuldigt mich bitte«, sagte sie, riss sich das Kehlkopf-Mikrofonband vom Hals und verließ die Probebühne. Sie hielt es hier nicht mehr länger aus.
*
»Ich bekomme die Fieberschübe nicht unter Kontrolle«, sagte Pic Lershimon mit einer für einen Mantar-Heiler ungewöhnlichen Offenheit. »Was auch immer ich unternehme; ob ich Mittel der Schulmedizin anwende oder unkonventionelle Wege gehe: Die Therapien zeigen bei deiner Schwester keine Wirkung.«
»Kann ich zu ihr?«, fragte Tres.
»Es spricht nichts dagegen.«
Tres zögerte, blickte durch das Isolationsfeld auf Lor-Eli. Auf ihre blasse und so zerbrechlich wirkende Schwester, die in einem viel zu großen Bett der CHISHOLM-Bordklinik lag.
Lor-Eli wälzte sich hin und her. Ein Medoroboter kümmerte sich um sie, ganze Batterien seltsamer Messgeräte waren rings um das Lager angeordnet. Manche von ihnen wirkten wie Teile einer hastig fertiggestellten Versuchsanordnung – und genau so war es auch.
Das Paraflimmern, das sie allesamt nach ihrer Ankunft in der Doppelgalaxis Chanda zu spüren bekommen hatten, blieb ein rätselhafter und nur in Ansätzen erforschter Aspekt, der Übelkeit, Schwindel, erhöhte Temperatur und Halluzinationen hervorrief.
Pic Lershimon desaktivierte das Isolationsfeld. Tres passierte ein Ultraschall-Desinfektionsfeld, trat ins Zimmer ihrer Schwester. Der Medoroboter wischte Lor-Eli Schweiß von der Stirn.
Tres blickte in fiebrige Augen. In ein Gesicht, das viel zu ernst war für ein achtjähriges Mädchen. Sie legte der Halbschwester eine Hand auf die Stirn – und zog sie gleich darauf erschrocken zurück.
»Sie brennt!«, sagte sie zum Medoroboter.
»Ich messe 41,2 Grad Celsius. Hyperpyretisches Fieber. Die Wärmeregulierung der Patientin versagt allmählich.«
»Nenn sie nicht Patientin!«, herrschte Tres den Roboter an. »Sie hat einen Namen! Lor-Eli Alucc!«
»Verzeihung.« Der Roboter zog sich einen Schritt zurück.
Tres setzte sich an die Bettkante. Wie arm und hilflos ihre Schwester doch aussah ...
»Lor-Eli?«
Das kleine Mädchen blinzelte. Angestrengt, als müsste es dabei an seine körperlichen Leistungsgrenzen gehen, drehte es Tres das Gesicht zu. Irgendwie kam ein Lächeln zustande. Es wirkte grässlich verzerrt.
»Wie geht's dir?«
Lor-Eli nickte schwach, ohne die Kraft aufzubringen, ein Wort zwischen den Lippen hervorzupressen.
»Es wird alles wieder gut«, sagte Tres – und hasste sich im selben Augenblick dafür, dieselben Stereotypen zu verwenden, die sie so sehr verabscheute.
»Halt mich ...«, bat Lor-Eli, kaum verständlich.
Tres rückte näher. Schlüpfte unter die Decke und kuschelte sich an die Schwester. Drückte deren Kopf an die Brust, fühlte das hastige, schmerzerfüllte Atmen der Fiebrigen.
Lor-Elis Gesicht war nass. Spuren der Feuchtigkeit zogen sich von den Augen hinab zum Mund und zum Kinn. Sie zitterte, und ihre große Schwester zitterte mit.
Mehrere Geräte im Raum tickten und schepperten. Eines gab ein pfeifendes Geräusch von sich. Es zeigte an der breiten Vorderfront Messkurven, deren Sinn Tres nicht verstand. Sanfte Musik, besinnliche Berklavar-Rhythmen aus dem 9. Jahrhundert, überdeckte zum Teil die Lärmkulisse.
Vor dem Fenster und dem Isolationsschirm des Zimmers gingen Pfleger und Ärzte auf und ab. Immer wieder zeigte sich der Mantar-Heiler Lershimon an der Scheibe. Sein Gesicht wirkte leer und beherrscht, seine Blicke kühl.
Zeit verging. Tres verlor jegliches Gefühl. Sie lag so ruhig wie möglich da, Lor-Eli an sie gekuschelt. Irgendwann endete das Zittern des ausgemergelten Mädchenkörpers: Lor-Eli war eingeschlafen.
Pic Lershimon trat leise ins Zimmer und winkte Tres. Sie verneinte, er winkte ungeduldig. Schließlich gehorchte sie und stand auf. Rücken und Beine schmerzten. Sie hatte nicht gewagt, sich zu bewegen, um es der Schwester so bequem wie möglich zu machen.
»Das war sehr wichtig für die Kleine«, sagte der Mantar-Heiler, sobald sie das Krankenzimmer verlassen
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