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PR2604-Die Stunde der Auguren

PR2604-Die Stunde der Auguren

Titel: PR2604-Die Stunde der Auguren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wim Vandemaan
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interessiert«, sagte Inez mit einem beinahe melancholischen Lächeln.
    Routh entlohnte sie und nickte ihr zum Abschied zu, ohne sie anzusehen. Seine Aufmerksamkeit galt dem Auguren.
    Die Gestalt vollführte mit ihrer Hand eine kleine Geste, und alles wurde still, geradezu andächtig. »Mein Name ist Stradnaver.«
    Die Stimme klang volltönend und tief. Er bedankte sich kurz und freundlich für das Kommen. Während er sprach, schien sein Gesicht an Lebhaftigkeit zu gewinnen. Ein starkes Mienenspiel war da, fast zu viel für das Wenige, was er sagte. »Ich möchte euch zunächst etwas auf der Phenube spielen.«
    Er griff auf seinen Rücken und hielt gleich darauf einen sonderbaren Gegenstand vor der Brust, offenbar ein Musikinstrument. Die Phenube ähnelte einer Mischung aus Saxophon und Dudelsack: ein Saxophon aus dunklem Holz, das mit einem Luftsack betrieben wurde.
    Stradnaver nahm ein Mundstück zunächst zwischen die hellen Lippen und führte es dann wie einen Schlauch tiefer ein. Allmählich blies er den Luftsack auf.
    Dann begann er zu spielen.
    Die Phenube produziert warme, dunkle, nachhallende Töne. Die Klänge berühren das Zwerchfell. Stradnaver spielte eine langsame, zugleich unerhört fremdartige und schöne Melodie. Routh war, als hörte er einen Weckruf, der von fern her erklang und aus einer ungestalteten Dunkelheit zu einem ganz neuen, einem wunderbaren Tag rief.
    Ich habe etwas wie diese Musik schon einmal gehört, erkannte Routh. Er versuchte sich zu erinnern, wo und wann, aber die Melodie bannte ihn. Für einen Moment vergaß er sogar, dass er Anicees wegen an diesem Ort war.
    Aber musste er sich noch um Anicee sorgen? Er hatte sie gefunden. Es ging ihr gut. Sie war hier, um dieses Wesen zu hören. Es hätte schlimmer kommen können, wesentlich schlimmer. Er wusste sie geborgen in dieser Melodie.
    Im Strudel der Wirrnisse, in dem er zurzeit lebte, bot diese Musik etwas wie eine Insel. Sie erweckte mancherlei Gefühle in ihm, ein ganzes Prisma von Gefühlen: Neugier, Mut und den Wunsch, etwas Neues zu versuchen. Sollte er vielleicht Akonisch lernen? Oder die mit allen linguistischen Finessen bestückte Sprache der Ferronen? Genug, er würde auf jeden Fall etwas tun, auch wenn ihm noch nicht klar war, was. Es fehlte nicht viel, und er wäre Stradnaver dankbar gewesen.
    Da endete die Musik. Stradnaver verstaute die Phenube wieder auf seinem Rücken, wo er etwas wie ein Traggestell oder eine Kiepe für das Instrument tragen musste.
    Es fiel Routh nicht leicht, sich aus der Verzauberung zu lösen.
    Mehr als seine eigene Faszination erstaunte ihn, dass auch die überwiegend jungen Zuhörer von dieser Art von Musik so ergriffen waren. Die Jugend des Solsystems hatte vor einigen Monaten die Strategiemusik der Topsider für sich entdeckt, eine für Rouths Ohren mal boshaft klingendes Geheul, dann wieder sphärisch anmutender Gesang über dem vorantreibenden Rhythmus der topsidischen Knarrtrommeln.
    Freilich wurden in den terranischen Songs keine imaginären Schlachtordnungen und taktischen Kniffe wie in den Originalen besungen, sondern die immer gleichen Beziehungsproblematiken und Liebeshändel.
    Stradnavers Spiel wirkte dagegen geradezu meditativ. Zugleich aber aufwühlend.
    Endlich begann der Augur zu reden: »Wir haben euch von der bevorstehenden Zeitenwende erzählt, von dem neuen Himmel, unter dem ihr leben werdet. Wir haben euch gebeten, uns nicht zu glauben. Uns erst dann zu glauben, wenn unsere Worte beglaubigt worden sind durch die Tat. Ich sage euch: Ab jetzt gestatte ich euch, uns zu glauben. Der neue Himmel ist da.«
    Stradnavers Stimme klang einmal sonor und sehr bestimmend, dann wieder feminin, mütterlich-tröstend, weiblich-verführerisch.
    Zu glauben gestatten – was für eine Anmaßung, dachte Routh. Mit geschlossenen Lippen aktivierte er sein Implantmemo und wies Puc an, die Rede und das ganze Drumherum aufzuzeichnen.
    »Man wird euch sagen, es sei eine unsichere Zeit. Gefahrvoll, riskant, feindlich. Denn man sagt euch immer etwas. Gerade so, als hätte man euch etwas zu sagen.«
    Vereinzelt klang Gelächter auf, fröhlich, aber auch spöttisch.
    Der Augur lächelte. »Was, wenn die Zeit nicht gefahrvoller wäre als jede andere? Hat nicht eine Psi-Materie-Mine das Solsystem heimgesucht, ein vatrox'sches Feuerauge? Hat diese Welt nicht den Angriff der Terminalen Kolonne TRAITOR erlebt, den Aufmarsch der Kybb-Titanen? Den Mördermarsch Ramihyns durch Terrania? Die Dunklen Jahrhunderte

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