PR2606-Unter dem Stahlschirm
ausrangierten Sack steckte. Sein schwarzes Haar war eine einzige Lockenpracht, eine Mähne, die ihm weit über die Augen fiel.
Diese Augen ... Verwirrt blinzelte Jenke gegen das Gefühl jäher Benommenheit an.
Der Mann lächelte und entblößte zwei Reihen makelloser Zähne. Ein leichter Bartschatten lag auf seinen Wangen.
Aber diese Augen ...
Jenke schaute noch einmal hin. Diesmal widerstand sie dem Eindruck, ins Taumeln geraten zu sein. Sie stand fest auf beiden Beinen. Neben ihr atmete Pettazzoni scharf ein, ihm erging es also keinen Deut anders.
Der Mann hatte nicht zwei, sondern vier Augen und dafür keine Wangenknochen, die sein Gesicht modelliert hätten. Zwei Augen rechts und links der Nasenwurzel, nicht anders als bei einem Menschen, die beiden zusätzlichen aber so dicht darunter, dass der Eindruck entstand, sie würden ineinander übergehen. Und genau das ließ Jenkes Blick unstet hin und her springen. Es war ihr nahezu unmöglich, dieses Gesicht anzuschauen, ihr Gleichgewichtssinn rebellierte sofort.
»Ihr seid neu in Alldar-Shat?« Er sprach das Tag-Famund mit hartem Akzent, aber doch für den Translator verständlich.
»Wir sind erst angekommen. Vorher haben wir eine Zeit lang in Hascomen zugebracht.«
»Dann seid ihr nicht zufällig hier. Neuigkeiten, heißt es, sprechen sich schneller nach Hascomen herum als in Alldar-Shat.«
»So scheint es«, wich Jenke aus. Möglicherweise ein wenig zu vage, denn der Vieräugige richtete seine Aufmerksamkeit wieder nach vorn.
Allerdings wandte er sich gleich darauf erneut zu ihr um. »Ich weiß nicht, wie es euch ergeht; ich hatte Mühe, die freudige Nachricht wirklich zu glauben. Aber nun fühle ich mich nur noch glücklich.«
»Ja«, sagte Jenke. »Das ist ein schwer zu beschreibendes Gefühl.«
Wenn sie es vermied, den Mann bewusst anzuschauen und ihren Blick einfach an ihm vorbeilaufen ließ, schienen ihr seine Augen nicht so verwirrend.
»Wie lange ist es her?«, platzte er heraus, gab aber sofort selbst die Antwort. »Es müssen Äonen vergangen sein, seit der letzte Avatar auf Shath gesehen wurde. Und nun ist wieder ein Helfer ALLDARS erschienen. Er ist in der Stadt, manche wollen ihn schon am Stahlschirm gesehen haben. Wenn das kein gutes Zeichen ist ... ALLDAR wird in aller Pracht wiederauferstehen! Ein Zeitalter neuen Glücks bricht an.«
Der nächste Schwebebus setzte auf, die Menge drängte vorwärts. Jenke hatte Mühe, an dem Vieräugigen dranzubleiben, aber sie schaffte es, obwohl der Bus vollgestopft war. Der Mann hatte einen der letzten Sitzplätze ergattert, sie stand eingekeilt zwischen mehreren korpulenten Schleimhäutern neben ihm. Die anderen ihrer Gruppen waren ebenfalls alle da.
»Wir fliegen direkt zum Stahlschirm?«
Seine vier Augen sahen zu ihr auf. Sofort empfand die Irmdomerin wieder diese Benommenheit wie nach mehreren doppelten Vurguzz. Hastig blinzelte sie dagegen an.
»Kein Verkehrsmittel kommt nah an den Stahlschirm heran. Bis zum Verwaltungssitz der Allgegenwärtigen Nachhut müssen sich alle schon selbst bemühen. Heute wird es besonders schwer werden, überhaupt einen Platz zu finden.«
»Wegen des Avatars? Werden wir ihn sehen?«
Was von außen nach schmalen Sichtscheiben ausgesehen hatte, erwies sich von innen als aufdringliche Werbefläche. Grelle Lichtspiele fraßen sich in Jenkes Gedanken.
»Angekündigt ist ausschließlich eine Rede von Mareetu. Aber der Hohe Marschgeber tritt nur aus besonderem Anlass vor die Öffentlichkeit.«
»Du meinst ...?«
»Wenn ein Avatar kein überwältigender Anlass ist, was dann? Mareetu wird ihn der ganzen Stadt vorstellen!«
*
Sie wurden vorwärts geschoben und hatten Mühe, einander nicht aus den Augen zu verlieren. Von dem vieräugigen Humanoiden war Jenke schon bald nach dem Umsteigen in einer Gleitröhre getrennt worden.
Zehntausende drängten zum Stahlschirm.
»Dieser Hohe Marschgeber könnte eine Art Bürgermeister sein«, bemerkte Pifa, die mit ihrer Statur dafür sorgte, dass die Gruppe beisammenblieb und sich niemand zwischen sie drängte.
»Der Translator hat kein anderes Synonym ausgespuckt. Ich nehme an, dass wir es mit einem Fagesy zu tun haben. Keine richtige Regierung, aber alle tanzen nach ihrer Pfeife.«
»Sie waren und sind ALLDARS Wächter. Vor einer kleinen Ewigkeit genossen sie deshalb höchstes Ansehen ...«
»Gewohnheitsrecht.« Jenke Schousboe seufzte. »Ich hatte übrigens nicht den Eindruck, dass der Informationsspieler von der
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