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PR2617-Der dunkelste aller Tage

PR2617-Der dunkelste aller Tage

Titel: PR2617-Der dunkelste aller Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hubert Haensel
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interessiert denn, was vor mehr als dreieinhalb Jahrtausenden war?«, fragte Pollux.
    Toja zuckte die Achseln. »Ich weiß es nicht. Und ehrlich gesagt, es ist mir egal, was da unten wächst. Bäume oder Fabrikanlagen, wo ist der Unterschied? Um die Atmosphäre zu erhalten, brauchen wir keine Bäume mehr. Wenn es sein muss, erledigen das Filterwerke auf den Bruchteil eines zehntel Volumenprozents genau.«
    Ein Flusstal kam in Sicht. Die in der Glassit-Vollsichtkanzel eingespiegelten Informationen wiesen den Wasserlauf als Medway aus. Er verlief nördlich von Tunbridge Wells. Nahe der Kleinstadt lag Tojas Ziel.
    Kurz vor acht Uhr Ortszeit landete der Gleiter auf dem markierten Platz vor dem abgelegenen Landhaus. Leichter Nebel hing in der Luft, ein durchaus angenehmer Hauch von Feuchtigkeit.
    Toja ging allein. Auf halbem Weg zwischen Gleiter und Haus blieb die Robotikerin stehen. Tief atmete sie durch. Es blieb eine Minute bis acht.
    Sie wusste: Wenn sie weiterging, würde sich ihr Leben womöglich von Grund auf verändern.
    Wollte sie das wirklich?
    »Das Leben ist immer Veränderung, glaub mir«, hörte sie Adams in Gedanken sagen. Ja, sie hatte ihre Entscheidung längst getroffen – und sie war gespannt darauf, eines Tages andere Menschen zu treffen, die ebenfalls vor der Wahl gestanden hatten.
     
    *
     
    Der Robotbutler öffnete, bevor Toja den Türmelder betätigen konnte. Er bedachte die Frau mit einem taxierenden Blick, dann nickte er zufrieden. Sicher auch deshalb, weil irgendwo im Haus ein Glockenwerk viermal anschlug.
    »Der Graue Graf erwartet dich«, sagte er mit einer angedeuteten leichten Verneigung.
    Acht weitere durchdringende Glockenschläge waren zu hören. Toja Zanabazar zählte mit, während sie dem Butler in den Salon folgte.
    Die fein gegitterten Fenster erlaubten den Ausblick über die weitläufige Hügellandschaft hinter dem Anwesen. Die Morgensonne zehrte den Nebel auf. Sanfte Pastellfarben bestimmten das Bild, und über den Hügeln lag ein schwacher Schattenwurf. Die Sonne gewann rasch an Kraft.
    Vielleicht erleben wir die letzten Tage, an denen Sol noch sichtbar ist, ging es Toja durch den Sinn.
    Seit der Rede des Residenten vor zwei Tagen auf allen Trivid-Sendern wusste sie von den Spenta und deren erschreckendem Wirken tief im Innern der Sonne. Zuvor waren nur Mutmaßungen und Spekulationen kursiert.
    Toja war froh über die Offenheit, mit der Reginald Bull das Problem und die unausweichlichen Folgen angesprochen hatte. Vielleicht gelang es, in letzter Minute sozusagen, die furchtbaren Spenta zum Einlenken zu bewegen. Wenn nicht mit Worten, dann mit Waffengewalt. Welche andere Wahl hatte man als diese beiden?
    Toja sah das Muttergestirn ihrer Heimat inzwischen mit völlig anderen Augen. Mit einem Mal wusste sie zu schätzen, was zuvor eine Selbstverständlichkeit gewesen war.
    Ein Leben ohne Sonne?
    Zugegeben, das bedeutete längst nicht mehr den schnellen Eistod allen Lebens. Der Resident hatte davon gesprochen, dass Vorkehrungen getroffen würden.
    Toja vertraute ihm. Reginald Bull war nicht der Mann, der mehr versprach, als er halten konnte.
    Vielleicht würde bald ein Schwarm künstlicher Atomsonnen über der Erde und den meisten anderen Welten des Systems stehen. Trotzdem empfand Toja Furcht vor dem Moment, in dem das Licht der Sonne erlöschen würde.
    Obwohl sie den Gedanken weit von sich schob, fragte sie sich, wie es wohl sein würde. Ein langsamer, über Tage andauernder Todeskampf, eine Zeit trüber werdender Dämmerung, in der die Sonne allmählich verblasste? Oder ein abrupter Abbruch, eben noch hell strahlend im Zenit, im nächsten Moment Dunkelheit? Ein langer, dunkler Tag ohne Ende ...?
    Tojas Blick huschte weiter. Sie ignorierte das Innere des Salons, auch dass der Robotbutler ihr angeboten hatte, Platz zu nehmen. Viel lieber schaute sie nach draußen, wollte tief in ihrer Erinnerung festhalten, wie schön diese Welt war.
    Sie sah die Obstplantagen, in der Ferne die Gestänge der Hopfenfelder und die Hopfenhäuser mit ihren kegelförmigen Dächern. Der Himmel bewölkte sich zusehends, und die Wolken hatten immer noch diese leicht rötlich nachglühende Färbung. Alles wie vor zehn, vor hundert, vor tausend Jahren.
    Nur einmal war Toja Zanabazar an diesem Ort gewesen. Schon da hatte sie geargwöhnt, das Haus stünde schon ewig an seinem Platz. Es strahlte einen Hauch von Zeitlosigkeit aus, und in der Hinsicht ähnelte es seinem Besitzer. Für Toja war es, als könne

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