PR2617-Der dunkelste aller Tage
die beiden zu begrüßen, und ermunterte dadurch die Roboter zu einem Schwall von Fragen.
»Ich brauche euch für eine spezielle Arbeit«, stellte sie kurz und bündig fest. »Mehr kann ich im Moment nicht beantworten. Das muss genügen.«
Während Tojas nächtlichem Spaziergang hatte Pollux die beiden aus dem Ausstellungsraum des Museums geholt und ihre Plätze mit Ersatzobjekten dekoriert. Toja hatte schon geschlafen, als alle drei in der Wohnung eingetroffen waren.
Terrania lag in hellem Sonnenschein. Die Robotikerin frühstückte auf der weit von der Fassade abstehenden transparenten Bedarfsplattform. Sie entsann sich gut, wie sie anfangs jeden Schritt über den scheinbaren Abgrund hinaus getestet hatte. Längst bereitete es ihr keine Probleme mehr, tief unter sich Menschen und Schweber wie kleine Käfer zu sehen. Es hatte etwas Abenteuerliches, das der Arbeit im Whistler-Museum fehlte.
Sie aß nur wenig. In Gedanken war sie längst bei ihrer neuen Aufgabe, die sie noch gar nicht kannte.
Schließlich wurde es Zeit zum Aufbruch.
*
Toja Zanabazars privater Gleiter war kein stromlinienförmig schnittiges Fahrzeug, vielmehr hatte sie sich vor Jahren für die gediegen kubische, robuste Bauweise entschieden. Zehn Meter lang und siebeneinhalb Meter breit, bot der Capella G3 Platz für acht Passagiere. Die angeflanschten Gravojet-Innenstrom-Triebwerke verliehen ihm eine recht beachtliche Reisegeschwindigkeit von zweieinhalbtausend Kilometern in der Stunde.
Knapp drei Stunden dauerte der Flug von Terrania ins westliche Europa.
Pollux steuerte den Gleiter im Kombiverbund mit der Bordpositronik. Deren Reaktionsschnelligkeit verhinderte womöglich Schlimmeres, als im Grenzbereich zwischen Asien und Europa urplötzlich das Nirwana-Phänomen zuschlug.
Ein bewaldeter Höhenzug löste sich auf. Wie eine gigantische Walze aus eruptierendem Staub tobte das Phänomen tief unter dem Gleiter durch das üppige Grün und hinterließ eingeebneten kahlen Felsboden. Noch während der Roboter seine Erzeugerin darauf hinwies, stieg das Phänomen auf. Ein Schwarm aus Hunderten von Kranichen wurde in Sekundenschnelle bis auf wenige Tiere dezimiert; die Vernichtung sprang dem Gleiter förmlich entgegen.
Pollux riss den G3 mit Überlast auf den Triebwerken herum. Sekunden später jagte die Maschine im Sturzflug in die Tiefe. Gegen den düsteren Himmel zeichnete sich ein irrlichterndes Flirren ab, ungefähr dort, wo der Gleiter ohne das Gewaltmanöver gewesen wäre.
Minuten später kam auf allen Trivid-Kanälen die lokale Warnung für Zentraleurasien. Über dem weitgehend unbewohnten Gebiet waren Gravo-Phänomene und eine Serie von Auflösungseffekten beobachtet worden.
»Ich frage mich, wann Terra endlich zur Ruhe kommen wird.«
Toja schaute zurück auf den blutroten Sonnenaufgang. »Wer sich nur ein wenig mit der neueren Geschichte befasst, weiß, dass das Leben hier alles andere als ein Zuckerschlecken ist. Sicher, wir Menschen haben es weit gebracht ...«
»Ihr habt uns Roboter«, redete Pollux einfach dazwischen.
Toja bedachte ihn mit einem langen und sehr nachdenklichen Blick.
Manchmal war ihr das eigene Kind beinahe unheimlich. Aber war es nicht immer so gewesen, dass die Kinder ihren Eltern über den Kopf wuchsen? Sie hatte geglaubt, mit einer Familie von Robotern leichter zusammenleben zu können ... Vielleicht war das Leben nie so einfach, wie man es sich vorstellte.
*
»Kent, der Garten von England«, murmelte Toja, als der G3 die schmale Meerenge übersprang und die großen Kreidefelsen an der Südostküste der Insel sichtbar wurden. Ungestüm brandete das Meer gegen die Küste. »Wenn Adams nicht übertreibt, muss das Land hier ein Stück des Paradieses sein.«
»Adams?«, fragte Pollux interessiert. »Homer G. Adams? Ich habe seine Biografie mit Interesse gelesen. Er erwartet dich?«
»Uns ...«, sagte Toja lapidar.
Der Roboter zog den Gleiter leicht nach Westen. Kontrollimpulse der großen Leitstelle von London trafen die Maschine, Pollux bestätigte.
Die Region wurde zum Flickenteppich, durchsetzt von Flüssen und Bächen, und ging schließlich in dichten Hochwald über. Ein Informationsabruf von den örtlichen Infostellen verriet, dass der urwüchsige Zustand erst seit zwei Generationen als wiederhergestellt galt. Ausgiebige Rodungen nach dem 14. Jahrhundert alter Zeitrechnung waren einer weiten Zersiedelung des Landes vorangegangen.
»Wen außer den ewig gestrigen Terra-Nostalgikern
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