PR2617-Der dunkelste aller Tage
den Blick an der überwältigenden Skyline der Hauptstadt Terras entlangschweifen zu lassen.
Das Bild war nicht mehr makellos. Lücken klafften, wo vor wenigen Tagen noch das Leben pulsierte. Die Versetzung des Solsystems hatte Wunden geschlagen, die lange nicht vernarben würden. Und noch immer forderten Gravo-Effekte und das Nirwana-Phänomen ihren Tribut.
Eigentlich konnte der Tod jederzeit überraschend zuschlagen. Sie hatte die unheimliche Bedrohung aus ihrem Bewusstsein verbannt, und sie kannte kaum jemanden, der noch über diese Gefahren redete. Zu ändern war es ohnehin nicht.
Hatte sie deshalb die Nachricht erhalten?
Sie würde es bald erfahren.
Zwei grelle Lichtpunkte zogen über den Himmel. Sie sanken schnell tiefer und schienen geradezu aufzuglühen. Allerdings würden sie kaum noch auf einem der großen Raumhäfen von Terrania landen, sondern erst weit im Norden, Richtung Polarmeer. Diese Schiffe zogen einen Schweif ionisierter Luft hinter sich her – und dann explodierten sie, brachen in einem Schwarm glühender Fragmente auseinander.
Angespannt starrte die Robotikerin in die Höhe. Die Vielzahl der Bruchstücke erlosch schon nach wenigen Sekunden. Nur einige größere Brocken jagten auf dem Ursprungskurs weiter. Ein dumpfes Grollen rollte heran, ein ohrenbetäubender Donnerschlag folgte und hallte in vielfachem Echo durch die Straßen.
Toja wurde sich bewusst, dass sie Meteoriten gesehen hatte. Die Gesteinsbrocken stammten aus dem Kuiper-Gürtel oder sogar aus der Oort'schen Wolke und bewiesen, wie sehr die räumliche Versetzung das Solsystem strukturell beeinträchtigte. Zwar war das Bombardement der ersten Tage schwächer geworden, das Bedrohungspotenzial würde dennoch für lange Zeit Bestand haben. Die Trivid-Nachrichten sprachen seit Tagen von koordinierten Säuberungsaktionen in den planetennahen Bereichen. Aber das betraf erst einmal die wirklich großen kosmischen Geschosse.
*
In dieser Nacht schlief Toja Zanabazar schlecht. Mehrmals ertappte sie sich dabei, dass sie an der Panoramaverglasung der Schlafnische stand und neugierig wie ein Kind über die gewaltige Metropole hinwegblickte. Von Horizont zu Horizont erstreckte sich das Gebäudemeer, von ausgedehnten Parks und Wasserflächen unterbrochen. Aus der 186. Etage reichte der Blick beachtlich weit. In der Ferne, dem Horizont sehr nahe, sah Toja sogar den blauen Schimmer der Solaren Residenz.
Das Aroma von frisch gebrühtem Kaffee weckte sie.
Überrascht setzte Toja sich auf, denn sie bewohnte das Appartement allein.
»Ich wünsche einen angenehmen Morgen. Du hast unruhig geschlafen. Sollte das ein Dauerzustand sein, empfehle ich dir, einen Mediker zu konsultieren ...«
»Nein, das ist kein Dauerzustand!«
Im offenen Durchgang zum Wohnbereich stand ein junger Mann. Offenbar als Aufmunterung gedacht, denn sein Blick versprühte Erotik pur.
»Lass den Unsinn, Pollux!«, sagte Toja ungehalten.
Pollux wechselte kommentarlos sein Aussehen. »Ich habe das Frühstück zubereitet. Wo darf ich servieren?«
»Auf der Freiterrasse«, entschied die Robotikerin spontan.
Das war neu. Pollux, auch wenn sie ihn als Mitglied ihrer fiktiven Familie ansah, hatte die Nächte meist im Museum zugebracht. In die Wohnung hatte sie ihn nur dann mitgenommen, wenn ihre Termine es erfordert hatten. Auf die Idee, das Frühstück zuzubereiten, war er bislang nie gekommen. Das zeigte, dass Pollux unverändert lernfähig war und sich weiterentwickelte.
Toja verschwand im Hygieneraum.
»Dein Harnsäurewert ist angestiegen«, mahnte die Toilette. »Du solltest dagegen vorgehen, damit keine krankhafte Kristallablagerung entsteht.«
»Das werde ich tun«, versprach Toja. »Sobald ich Zeit dafür finde.«
»Das hat nichts mit Zeit zu tun, sondern mit einer ungesunden Ernährungsweise«, widersprach die Toilette. »Harnsäure ist ein Abbauprodukt des Nukleinsäurestoffwechsels ...«
»Ich weiß«, unterbrach die Robotikerin den Redefluss. »Ab morgen halte ich mich streng an deine Anweisung.«
»Ich werde dich gegebenenfalls daran erinnern.«
»Tu das!« Toja verdrehte die Augen.
Sie verzichtete auf die übliche Massage und beließ es bei der Ultraschalldusche, zumal sogar die Mundhygiene etwas länger dauerte als sonst. Der Reinigungskopf beharrte darauf, den beginnenden Zahnstein entfernen zu müssen.
Das Plus, mit dem der Tag so überraschend begonnen hatte, schrumpfte merklich.
Im Wohnraum warteten OTHER und WISE. Toja machte den Fehler,
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