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PR2617-Der dunkelste aller Tage

PR2617-Der dunkelste aller Tage

Titel: PR2617-Der dunkelste aller Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hubert Haensel
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einer Seite zu lesen.
    Die Robotikerin nickte stumm. Hastig drehte sie die Karte um.
    Die Rückseite war vollständig beschrieben. Keineswegs gedruckt, sondern in einer steilen, etwas krakelig wirkenden Handschrift.
    Für einen Moment fragte Toja sich, wie viele Menschen diese Konversationsform wirklich noch beherrschten. Wer schriftliche Informationen verteilte, nutzte Situationsdrucker. Aber sogar den kleinen stabförmigen Geräten haftete längst der Ruch vergangener Epochen an. Akustikbotschaften waren der Renner, kleine programmierte Robotkügelchen, die selbst unter Zehntausenden ihren jeweiligen Empfänger fanden.
    Die Schrift wirkte alt. Toja roch an der Karte und kratzte leicht mit dem Finger darüber. Echte schwarze Tinte. Das an sich war schon eine wertvolle Antiquität.
    »Du solltest lesen, was da steht«, bemerkte Pollux. »Es ist eine seltsame Mischung aus Bekanntem und Unbekanntem.«
    Er hatte demnach schon versucht, die Nachricht zu entziffern. Toja verbiss sich eine Zurechtweisung. Pollux war eines ihrer Kinder, letztlich hatte sie ihn zu dem gemacht, was er war.
    Der Text war in einem altterranischen Dialekt verfasst. Die Robotikerin kannte dieses Idiom, das in der Anfangszeit des Solaren Imperiums gleichberechtigt neben dem Interkosmo gestanden hatte. Aus dem allgemeinen Gebrauch war das Englische zwar längst verschwunden, jedoch hatten etliche Begriffe daraus in der galaktischen Interlingua Einzug gehalten. Das musste es sein, was Pollux bekannt vorkam.
    Toja Zanabazar las: Der Graue Graf denkt, es wäre an der Zeit, abwesender Freunde zu gedenken, ist es nicht?
    Die Museumsleiterin spürte ihre Anspannung wachsen. Wie lange hatte sie auf diesen Moment gewartet? Zeitweise hatte sie sogar schon vergessen, dass es überhaupt möglich sein würde.
    Und nun, da der Augenblick gekommen war, fühlte sie sich eher verwirrt. Warum jetzt? Warum nicht schon vor fünf Jahren? Oder vor zehn?
    Wartete sie wirklich schon so lange?
    Ein Datum und eine Uhrzeit waren angegeben – der 14. September, acht Uhr.
    Toja erschrak. Sie würde zu dieser Verabredung zu spät kommen, weil ihr ein paar Stunden fehlten. Für die Reise durfte sie nicht einfach einen Transmitter nehmen, der es ermöglicht hätte, ihrer Spur zu folgen.
    Noch einmal las sie den Text. Etwas gelassener diesmal. Ortszeit, stand da. Das bedeutete – sie überschlug es schnell im Kopf – ungefähr 15 Uhr Terrania-Standardzeit. Ihr helles Lachen trug ihr einen verwirrten Blick des Roboters ein.
    Abgesetzt von den übrigen Zeilen stand ein kurzes Postskript. ... otherwise would be fine ... andernfalls wäre schön ...
    Ein Lächeln umfloss Toja Zanabazars Mundwinkel. Sie wusste, was dieses PS bedeutete.
    »Pollux, alle meine Termine absagen!«, trug sie ihrem Assistenten auf. »Sofort!«
    Sein Blick bekam etwas Fragendes. »Nur für morgen?«
    Toja stutzte. Sonderlich viele Termine waren es nicht, im Gegensatz zu früher, als sie noch die Entwicklungs- und Produktionsprozesse mitbestimmt hatte.
    »Alle Termine«, antwortete sie. »Ich weiß nicht, wann ich wieder in Terrania sein werde.«
     
    *
     
    Erst eine Stunde nach Mitternacht verließ die Direktorin das Whistler-Museum. Sie war ein wenig erschöpft, aber sehr zufrieden.
    Ihr blieb ausreichend Zeit, das war ihr nach dem ersten Erschrecken rasch klar geworden. Ihren Arbeitsplatz hatte sie aufgeräumt und so hinterlassen, dass ein Nachfolger sich umgehend zurechtfinden konnte. Das war sie ihrem Selbstverständnis schuldig. Sie konnte nicht abschätzen, wie lange sie abwesend sein würde.
    Ihre neuen Projekte waren abgesichert, das »sezierte« Gehirn des Seiltänzers als Ausstellungsstück deklariert und bereits entsprechend platziert.
    Wehmut stieg in ihr auf, als sie das Whistler-Areal verließ und vom Luna-Boulevard noch einmal zurückschaute. Wie ein funkelnder Brillant erschien ihr der dreihundert Meter durchmessende Museums-Rundbau. Lediglich vier Etagen lagen oberirdisch, trotzdem waren sie eines der faszinierenden Wahrzeichen von Terrania.
    Reger Verkehr herrschte. Wie ein trockener Schwamm das Wasser sog Toja alle Eindrücke in sich auf. Leise Sphärenklänge begleiteten die wenigen Menschen, die sich nicht wie sie den Schwebetunnels, Laufbändern oder Röhrenbahnen anvertrauten, sondern einfach das Besondere spüren wollten. Sie waren Ameisen, die das Staunen nicht verlernt hatten.
    Überrascht stellte Toja fest, wie lange sie sich nicht mehr die Zeit genommen hatte, innezuhalten und

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