PR2617-Der dunkelste aller Tage
»Die Auswertung aller Aufzeichnungen ergibt Hinweise auf die Annäherung mehrerer fremder Einheiten unmittelbar vor dem Vorfall. Zumindest eines dieser Nagelraumschiffe scheint uns bis auf rund tausend Kilometer nahe gewesen zu sein.«
»Einzelheiten?«, fragte Bull.
»Keine.«
*
In der Finsternis entstand ein zögernder Gedanke.
Ich ...
Der Gedanke verhallte ungehört.
Geraume Zeit verging, bis sich ein neuer formte. Hartnäckig nun und von forschender Neugierde getrieben.
Ich lebe ...
Erinnerungsfetzen kehrten zurück, ein Name schwang darin mit: Shanda.
Es war ihr Name, und er gefiel ihr. Sie entsann sich, dass sie gleißendes Licht gesehen und Hitze gespürt hatte – dort, wo beides geboren wurde. Aber davon gab es nun nichts mehr.
Sie wollte sehen.
Alles erschöpfte sich in fahler Helligkeit und Schatten. Etwas bewegte sich nah vor ihr – Shanda erkannte nicht mehr als einen verschwimmenden Schemen.
Sie versuchte zu hören.
Da war ein monotones feines Summen. Entstand es in ihrem Kopf? Das Geräusch trug sie und gab ihr das Gefühl zu schweben. Wie damals. Als Kind hatte sie sich heftig den Ellenbogen angeschlagen. Plötzlich war da dieses lähmende Gefühl gewesen, dieses Summen, als sie in sich zusammensackte. Ein beruhigendes, wohliges Summen. Es hatte ihr die Angst genommen, bis sie wieder die Augen aufschlug und ihre Mutter vor sich sah.
Diesmal wartete sie vergeblich darauf, dass dieses Summen verklang.
Ein Geruch von Frische umwehte sie, von Wind, der sich in blühenden Bäumen fing. Aber es roch ebenso steril. Nach technischen Geräten, Instrumenten, nach toten Mikroben und Bakterien.
Die Medostation ...?
Shanda wollte schreien. Wollte sich herumwälzen und aufspringen.
Sie konnte es nicht.
In ihrer Nähe erklang ein fiependes Geräusch. Es klang bedrohlich, wurde schneller, geradezu hektisch.
Schritte eilten heran. Der verschwommene Schemen kehrte zurück. Er kam nahe, erstickend nahe. Shanda spürte eine Berührung an der Stirn. Heiß, sehr heiß. Sie wollte schreien, sich herumwälzen ...
Sie stirbt! Glasklar entstand dieser Gedanke in ihr. Ich kann keine organische Ursache dafür erkennen ...
Urplötzlich sah Shanda eine Fülle holografischer Anzeigen: pulsierende Werte, die sich permanent veränderten. Einzelne Skalen sanken auf Nullwert und verwandelten sich in gerade schwarze Balken.
»Die Vitalfunktionen brechen weg!«, hörte Shanda sich sagen. »Eine verzögerte Schockreaktion.«
Aber das war nicht ihre Stimme. Der außerordentlich voll tönende Klang gehörte dem Ara-Mediker Prak-Parlong. Mit einer hastigen Handbewegung löschte er die Holos und zog einen Aggregatblock zu sich heran.
Was Shanda sah, sah sie durch seine Augen, und sie dachte seine Gedanken.
Es war ein eigenartiges Gefühl für sie, auf sich selbst hinabzublicken, als sie sanft wie eine Feder von Antigravfeldern angehoben wurde. Winzige Sensorfäden sprangen heran und hefteten sich an ihre Schläfen, an ihren Hals und die Arme.
Fast musste Shanda lachen. Stacheln gleich standen die Sensoren von ihr ab und versteiften sich. Ein Igel. Sie mochte diese kleinen, flinken, wehrhaften Gesellen.
Dass sie nackt war, registrierte sie erst in diesem Moment. Ihr schlanker Leib hing lang ausgestreckt in der Luft; das glatte Haar rutschte von ihren Schultern und fiel nach unten.
Ein schriller Ton zerriss die Stille.
Ausfall aller Lebensfunktionen, dachte der Ara. Sie stirbt.
Ich bin hier!, rief Shanda ihm zu. Ich fühle mich nicht tot.
Prak-Parlong reagierte nicht darauf. Er war hoch konzentriert. Auch wenn Shanda Sarmotte längst nicht verstand, was er unternahm, erkannte sie doch den Überlebenstank, in dem sie langsam versank.
Ein greller Schmerz ließ sie aufschreien. Doch es war nicht ihr Körper, der schrie – es war ihr Geist. Der Ara reagierte nicht darauf. Er arbeitete verbissen daran, sie am Leben zu erhalten.
Du tust mir weh!
Er hörte es nicht.
Müdigkeit griff nach Shanda. Sie schaffte es nicht mehr, die Gedanken des Medikers zu erkennen. Seine Überlegungen wurden zu verwirrend fremden Mustern.
Mit einem Mal hatte Shanda Sarmotte das Gefühl zu fallen. Dunkelheit und Leere nahmen erneut Besitz von ihr.
»Du schaffst es, mein Mädchen«, hörte sie den Ara noch sagen. »Ich sorge dafür, dass dir nichts geschieht.«
*
»Gut«, bestätigte Reginald Bull. »Oder auch nicht gut, je nachdem, wie wir das sehen wollen. Jedenfalls lassen die Umstände keinen anderen Schluss
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