PR2619-Planet der Formatierer
gehalten«, sagte er.
Der Terraner musterte ihn. »Du siehst es metaphorisch, klick und klar. Aber die Formatierung findet nicht symbolisch statt. Sie ist weniger eine Frage der Fitness als des Myelins, nicht wahr? Denn so ist das Haus des Denkens bestellt.«
»Natürlich.« Routh nickte verstehend. Myelin?, artikulierte er währenddessen.
Puc erinnerte ihn: Das Myelin, die weiße Hirnsubstanz, lag in den Tiefen des Gehirns. Beim erwachsenen Menschen machte sie beinahe die Hälfte des Gehirns aus – mehr als bei jedem anderen Lebewesen der Erde. Die Nervenausläufer in dieser Masse waren von einer Biomembran überzogen, einem Flüssigkristall: dem Myelin.
Beim neugeborenen Menschen fanden sich erst wenige Regionen des Gehirns, in denen die Nervenfasern von dieser weißen Hirnsubstanz umhüllt waren. Die Myelinisierung fand in Wellen statt, die vom Nacken zur Stirn liefen.
Zuletzt wurden jene Areale des Stirnlappens vom Myelin überzogen, die das höhergradige Denken besorgten, die planten und urteilten.
Erst im Alter von 25 bis 30 Jahren war die Myelinisierung abgeschlossen.
Routh schloss für einen Moment die Augen.
»Ich will deine Meditation nicht stören«, sagte der junge Mann und schlug Routh kurz auf die Schulter. »Ich habe meinen Teil an Neu-Formatierung heute bereits genossen.«
Routh fragte: »Du bist ein Fachmann? Ich meine: was das Myelin angeht?«
»Mein Name ist Marsyas«, stellte sich der andere vor und reichte Routh die Hand. »Ich bin Neuromechaniker mit einer Spezialisierung auf bioneuronale-positronische Schnittstellen.« Er lachte wieder. »Ich habe in Berlin und Terrania studiert, aber das, was die Saypos in dieser Hinsicht aufziehen, ist der terranischen Neurotechnologie um mehr als einige Megaklicks voraus.«
»Klick und klar«, stimmte Routh zu.
»Du sagst es«, antwortete Marsyas.
»Die anderen ...« Routh wies beiläufig auf das Daakmoy. »... sind sie noch in der Symphonie?«
»Hm«, machte Marsyas und zuckte die Achseln. »Möglich. Du entschuldigst mich? Ich habe viel zu tun!« Er tippte sich vielsagend an die Schläfe.
Routh nickte, und Marsyas machte sich auf den Weg wohin auch immer.
»So ist das also«, sagte Routh. Der Zauber entzaubert sich langsam. Die Auguren greifen also auf diejenigen Terraner zu, deren Gehirn noch nicht ausgestaltet ist.
So könnte es sein, sagte Puc.
Aber wozu?
Puc hob das Glas und nippte daran. Liegt das nicht auf der Hand? Die Myelinisierung wird vorläufig gestoppt, vielleicht sogar zurückgefahren. Die Gehirne werden gewissermaßen ...
... neu geboren, ergänzte Routh. Sie werden in den Zustand von Neugeborenen versetzt und dann noch einmal ausgebildet.
Puc nickte. Die Sayporaner verfügen über eine fortgeschrittene Technologie der Hirnmanipulation. Sie setzen die Gehirne in einen Zustand, in dem sie alles wie zum ersten Mal lernen: schnell, intensiv, unwiderruflich. Sie lernen beispielsweise die Sprache der Sayporaner nicht wie durch eine Hypnoschulung oder eine Zweitsprache, sondern wie die Muttersprache. Sie lernen das Saypadhi als Muttersprache.
Aber sie lernen es nicht von ihren neuen Eltern, dachte Routh. Von ihren Ziehvätern oder Ziehmüttern.
Du solltest das, was du mit Chourtaird erlebt hast, nicht ohne Weiteres verallgemeinern, riet Puc. Vielleicht sind andere Zieheltern gesprächiger.
Für einen Moment ließ Routh das alles auf sich einwirken. Das also war die Neuformatierung. Ihr Sinn und Zweck? Am Ende würden die Terraner, die über das Transitparkett auf die Patronatswelt der Sayporaner gegangen waren, selbst Sayporaner sein.
Auch Anicee, dachte Routh. Würde die Neuformatierung alte Gedächtnisinhalte löschen? Würde Anicee schlicht vergessen, dass sie vor ihrer sayporanischen Familie schon einmal eine Mutter und einen Vater gehabt hatte? Oder würden er und Henrike ihr nur völlig gleichgültig werden?
Er artikulierte: Es ist mindestens ein Verbrechen. Ein Verbrechen, für das ich noch gar keinen Namen habe. Das ist Diebstahl, Bewusstseinsraub. Sie rauben uns unsere Kinder. Sie vertreiben ihr wahres Ich aus ihren Gehirnen. Oder?
Puc seufzte. Das ist ein ziemlich großes Oder, oder? Was ist das Bewusstsein?
Was ist es denn?, fragte Routh wütend.
Puc lächelte maliziös. Abgesehen davon, dass es Träger und Emitter einer sechsdimensionalen Signatur ist, der ÜBSEF-Konstante? Nun, abgesehen davon ist es eine synchrone Oszillation diverser neuronaler Ensembles. Viele einander spiegelnde Zugleiche.
Was ich
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