PR2632-Die Nacht des Regenriesen
hoch über ihnen. Völlig sinnlos, eines der sechs Feldtriebwerke oder einen der Schutzschirmprojektoren anzugreifen. Sie waren nur zu dritt.
Und sie hatten keine Ahnung, was an Bord geschehen war.
Sie eilten über die Gänge. Die Muskelverstärker ihrer SERUNS machten es ihnen leicht.
Im Vorübergehen warf Margaud einen Blick auf die Bilder, die in diesem Abschnitt des Korridors an der Wand hingen. Eines der menschlichen Besatzungsmitglieder – oder ein auf künstlerischen Ausdruck programmierter Roboter – hatte Menschen porträtiert, anscheinend Besatzungsmitglieder: Terraner und einige Umweltangepasste.
Der Witz der Bilder war, dass der Künstler sie in archaischen Kleidern gemalt hatte. Margaud sah einen Ertruser, gekleidet im Stil eines englischen Dandys des zweiten präastronautischen Jahrhunderts in Wolle und Tweed, eine Sonnenblume in der Hand. Eine junge Frau mit einem derart makellos schönen Gesicht, dass Margaud an genetische Optimierung denken musste, trug einen schlichten Arbeitseinteiler mit Multikomgürtel, wie er für technisches Personal typisch war. Ihr Haar dagegen war aufgetürmt, mit Puder und Pomade versteift, das Nackenhaar als Schlaufe hochgeschlagen und durch Federn, bunte Bänder und phantastischen Putz ergänzt.
Der Mann im nächsten Bild mit seinen silbrigen Zähnen, dem grünen Haar und der schmächtigen Figur musste ein Kamashite sein. Er trug eine geöffnete Weste aus reich bestickter Seide; auf seiner entblößten Brust lag ein auffälliges Amulett.
Für einen unangenehmen Moment überkam Margaud die Vision, es wäre dies, was der Besatzung zugestoßen war: Eine unbekannte Macht hätte sie alle in Kunstwerke verwandelt und dabei in aberwitzige Kleidungsstücke gesteckt, eine Botschaft, die zu verstehen lebenswichtig war, die aber weder Margaud noch irgendjemand sonst entziffern konnte.
Luna, der die Gruppe anführte, blieb vor dem Turbolift stehen. Neben der Tür zum Lift befand sich auch der Eingang zur Notfalltreppe. »Versuchen wir es mit dem Lift?«, fragte Luna.
Margaud nickte.
Luna streckte den Arm aus, zögerte kurz und berührte dann die Sensortaste. Augenblicklich glitt die Lifttür zur Seite. In der Kabine lagen zwei der schwarzen Eier.
Als ob sie uns auflauern, dachte Margaud.
»Lassen wir das«, sagte sie und öffnete den Zugang zur Notfalltreppe. Diesmal ging Miravete vorweg.
Die Notfalltreppe wendelte sich steil in die Höhe. Sie hatten vielleicht vierzig Meter Höhenunterschied überwunden, als Miravete den Ausgang nahm.
»Das ist merkwürdig«, sagte Miravete, unmittelbar nachdem er auf den Korridor getreten war. »Schaut euch mal die Temperatur an.«
Margaud und Luna warfen einen Blick auf ihre Multifunktions-Armbänder. »52 Grad Celsius«, sagte Luna »Hier heizt jemand ein.«
»Weiter!«, drängte Margaud.
Miravete las den Weg durch die Gänge, die enger wurden und verwinkelter verliefen, aus der Projektion in seinem Visier ab. Margaud hatte diese Funktion desaktiviert. Sie hatte lieber einen unverstellten Blick auf die Wirklichkeit.
Diese Wirklichkeit hätte nicht unspektakulärer sein können. Die Gänge wirkten unbenutzt, beinah steril. Von der Hitze war in ihrem SERUN nichts zu spüren.
Alles war still. Nur von fern drangen die tiefen, gleichmäßigen Summtöne großer Maschinen an ihr Ohr.
Endlich erreichten sie eine Halle, die ein Segment des Zyklotrafspeichers barg. Miravete machte sie darauf aufmerksam, dass es in diesem Raum empfindlich kalt war: »Zehn Grad unter null.«
Das Speicher-Segment füllte den Raum fast vollständig aus. Das Ringmodul durchmaß knapp über zwanzig Meter. Es war von einem Lack oder einer Legierung überzogen, die einen dunklen Kupferton aufwies. Links und rechts unterbanden die Wände der Halle den Blick auf die anschließenden Segmente des Zyklotrafs.
»Von hier aus kann man ins Innere des Speichers eindringen und ihn warten«, murmelte Miravete. »Natürlich im desaktivierten Zustand.«
Emilio Luna kümmerte sich nicht um die Erklärung. Er hatte den Tornister des SERUNS abgesetzt und nahm eine scheibenförmige Sprengkapsel heraus. Er dosierte die Sprengwirkung und heftete sie auf die Hülle des Zyklotrafs.
Für einen kurzen Augenblick sah es aus, als trüge der Speicherring ein Medaillon. Dann wechselte der Sprengsatz in den Tarnmodus und adaptierte Farbe und Oberflächenanmutung des Zyklotrafs. Er war so gut wie unsichtbar geworden.
»Ich stelle ihn auf Punkt 21 Uhr«, sagte Luna. »Zur Not kann ich
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