Prag
Widersinnigkeit des kommunistischen Machtapparates öffentlich kritisierte. Nach 1968 hatte Havel in der Tschechoslowakei Aufführungs- und Publikationsverbot. Doch Havel verstummte nicht. Fortan führte er sein dramatisches und literarisches Schaffen aus dem Untergrund fort. Die Absurdität jener Zeit verarbeitete er in absurden Theaterstücken. 1977 wurde Havel Mitbegründer und Sprecher der Charta 77 â zum Ãrger der Machthaber. Viermal wurde er verhaftet, insgesamt saà er 50 Monate im Gefängnis. Aus der verschärften Haft in einer nasskalten Zelle verfasste er seine viel gerühmten Briefe an Olga . War Havel in Freiheit, beschattete ihn der Geheimdienst rund um die Uhr. Verfolger und Verfolgter kannten sich im Laufe der Zeit â gerne wird die Geschichte erzählt, dass Havel seine Beschatter auch mal auf ein Pivo an den Tresen bat.
Sieben Monate nach seiner letzten Haftentlassung jagte er voller Elan â das ist belegt â mit einem Tretroller durch die Gänge der Präsidentschaftskanzlei. Dahin hatte ihn das Volk nach der Samtenen Revolution geschickt, und dort ging er als letzter Präsident der Tschechoslowakei und als erster Präsident der Tschechischen Republik in die Geschichte ein. Havel gelang es zwar nicht, die Föderation der Tschechen und Slowaken zusammenzuhalten. Als Präsident aber punktete er im In- und Ausland durch seine moralische Integrität. Und die Prager Parteipolitiker beäugten ihn neidisch: Seine glanzvollen Staatsbesuche und -empfänge degradierten sie zu Mauerblümchen. Nach einer Reihe schwerer Schicksalsschläge â 1996 verstarb seine Frau Olga, kurz darauf wurde eine bösartige Geschwulst in seiner Lunge entdeckt â heiratete Havel 1997 die 17 Jahre jüngere Schauspielerin Dagmar âDásaâ Veskrnová. Das nahm ihm das Volk übel, das Olga wie eine Heilige verehrt hatte.
2003 endete Havels zweite Amtszeit. Für seine Verdienste wurde er von den Tschechen jüngst zum drittbedeutendsten Mann des Landes gewählt â nach Karl IV. und T. G. Masaryk. Dabei ging der Dichterpräsident mit dem eigenen Volk zuweilen recht hart ins Gericht: âDie Tschechen neigen zum SpieÃbürgertum, zum Isolationismus und Kleinmut, das ist ein wesentlicher Zug ihrer jüngeren Geschichte.â Und Tabus brach er auch â vielen ging es zu weit, dass sich Havel bei den Sudetendeutschen für die Vertreibung entschuldigte. Nach dem Ausscheiden aus der groÃen Politik sammelte Havel Preise und Auszeichnungen wie andere Briefmarken. 2008 kehrte er mit dem Stück Odcházenà (Abgang) zurück ins Theater â gefeiert von Kritikern und Publikum. Die Verfilmung mit Havels Frau in der Hauptrolle soll im Frühjahr 2011 in die Kinos kommen.
Und als die habsburgische Monarchie zerschlagen war â Prag blieb übrigens von Kriegshandlungen verschont â wurde die Republik Realität und Masaryk ihr erster Präsident.
Prag war wieder ins Zentrum des politischen Geschehens gerückt, als Hauptstadt der neuen Tschechoslowakischen Republik (ÄSR). Und der neue Staat hatte gute Karten, ca. 60 % der Industrieanlagen Ãsterreich-Ungarns waren ihm in intaktem Zustand zugefallen â von heute auf morgen befand sich das Land an 10. Stelle unter den Industrienationen der Welt. Die Bevölkerung war bunt gemischt: 6,8 Mio. Tschechen, 3,1 Mio. Deutsche (über 80 % davon lebten in geschlossenen Siedlungsgebieten in Böhmen und Mähren), 1,9 Mio. Slowaken, 750.000 Ungarn, 460.000 Ukrainer und 70.000 Polen. Um ethnischen und sozialen Spannungen vorzubeugen, wurde unter Masaryk eine der liberalsten Verfassungen jener Zeit verabschiedet. Mit Erfolg, die Stadt erlebte ein neues goldenes Zeitalter, die Moderne hielt Einzug, es entstanden etliche Gebäude im funktionalistischen und kubistischen Stil. Das Radio spielte ab 1923, und göttlichen FuÃball die junge Nation: 1934 wurde die Tschechoslowakei Vizeweltmeister. Doch während dieser Zeitspanne wurden peu à peu auch Gesetze verabschiedet, die an den Besitzständen der deutschsprachigen Bevölkerung rüttelten und ihre Rechte einschränkten (z. B. Enteignung durch Agrarreform, Entlassung von über 30.000 deutschsprachigen Beamten, da diese der tschechischen Sprache nicht ausreichend mächtig waren, SchlieÃung deutscher Schulen etc.). Vor allem in den grenznahen, fast rein deutschsprachig besiedelten
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