Pralinen im Bett: Schuhdiebe, Mutterliebe, Seitenhiebe und weitere Tücken des Alltags (German Edition)
ich …« – tapfer lächeln, tief Luft holen – »ich bin nie wirklich über ihn weggekommen.«
Die meisten kauften mir das ab. Manche waren mitfühlend und verständnisvoll, andere beleidigt, wieder andere wütend und einer erklärte mir, ich hätte eine allzu blühende Fantasie und solle gefälligst Vernunft annehmen.
Eines Tages erfuhr ich, dass Bryan die neurotische, schlaflose Malerin heiraten wollte, und ich fand, dass ich die Nachricht recht gut verkraftete. Doch auf dem Heimweg im Bus hatte ich plötzlich – während mir abwechselnd heißer und kalter Schweiß ausbrach
– das Gefühl, kotzen zu müssen, wenn ich nicht bei der nächsten Station ausstieg.
Als Bryan zehn Jahre aus Irland weg war, heiratete Teresa, und Bryan kam mit Danielle, seiner Frau, aus New York zur Hochzeitsfeier.
Von dem Augenblick an, als ich hörte, dass er kommen würde, erstarrte ich in einer verkrampften Wartehaltung. Und ich verkrampfte mich immer mehr, je näher der große Tag rückte. Man hätte meinen können, ich selbst würde heiraten.
Am Morgen der Hochzeit verbrachte ich viel, viel Zeit damit, mich herzurichten, und war bereit, jede kleine Panne – einen Kratzer im Nagellack, einen verschwundenen Ohrring – als Katastrophe größeren Kalibers zu werten.
In der Kirche sah ich ihn nicht, aber als wir zum Hotel kamen und den Sitzplan studierten, konnte ich mich nicht entscheiden, ob ich froh oder entsetzt sein sollte, am selben Tisch mit Bryan und Danielle zu sitzen. Aber meine Freundin Jennifer war ebenfalls in meiner Nähe und würde zur Not einen Puffer bilden.
Verstohlen ließ ich den Blick durch den Empfangssaal schweifen. Da entdeckte ich ihn. Geduldig wartete ich, ob ich in Ohnmacht fallen oder einen Schweißausbruch bekommen oder hinauslaufen und mich übergeben würde. Aber nichts passierte.
Im selben Moment sah er mich auch und kam auf mich zu, während mein Herzschlag mir immer lauter in den Ohren dröhnte. Wir lächelten einander zu und unsere Begrüßung war der Gipfel der Höflichkeit, abgesehen von dem Umstand, dass er meinen Namen vergessen hatte. Immer noch nicht recht »von dieser Welt«, dachte ich. Dann fokussierte ich meine Wahrnehmung auf die Frau an seiner Seite. Ich hatte sie schon bemerkt, sie war unmöglich zu übersehen. Allerdings war sie ganz anders, als ich mir Bryans Frau vorgestellt hatte. Zuerst einmal war sie groß, größer
als er. Ziemlich genau so groß wie ich, bei Licht betrachtet. Und ihre Haare waren leuchtend gelb. Nicht richtig blond, sondern eher wie Chemielimonade. Ihr Kleid war ebenfalls gelb, aber nicht genau im gleichen Farbton. Wie mutig, dachte ich und ärgerte mich plötzlich über meinen doofen, dezenten Look. Dazu hatte sie eine solche Menge roten Lipgloss aufgetragen, als sei sie in einen Klecks Himbeermarmelade gefallen. Und mit Verwunderung nahm ich zur Kenntnis, dass es auch nicht so aussah, als ernähre sie sich ausschließlich von Zigaretten und Kaffee. Hinter den Himbeermarmeladenlippen verschwanden täglich bestimmt mindestens ein bis zwei ordentliche Mahlzeiten. Ich konnte auch keine Schnittnarben auf ihren bloßen Unterarmen entdecken.
»Wie ist es in New York?«, fragte ich Bryan.
»Wunderbar«, antwortete er.
»Gut«, sagte ich. »Ich hab mir Sorgen gemacht.«
Nein, das sagte ich nicht wirklich, das dachte ich nur. Fairerweise muss ich gestehen, dass auch ich das Gespräch nicht wirklich in Schwung brachte. Selbst nach zehn Jahren raubte er mir immer noch meine Sprachkompetenz.
Während des Essens war Bryans Frau sehr laut und trank jede Menge. Natürlich, denn die meisten kreativen Menschen haben bekanntlich ein Alkoholproblem. Sie schleuderte ihre gelben Haare, die nicht recht zu ihrem gelben Kleid passten, immer wieder über die Schulter, und sie schien Jennifer zu mögen. Während einer Gesprächspause am Tisch gestand sie ihr in voller Lautstärke, dass ihre Zellulitis so schlimm sei, dass sie Calista Flockharts Profil darin ausmachen könne.
Als ich unter dem Tisch diskret nach Narben auf ihren Beinen Ausschau hielt, konnte ich nicht umhin festzustellen, dass ihre Beine ziemlich behaart waren. Einen Moment lang passte das gar nicht in mein Bild von ihr, aber dann ergab alles wieder einen Sinn.
Sie war ein Freigeist, sie drehte der Konvention eine lange Nase. Mein Respekt für sie stieg ins Unermessliche, und ich schämte mich meiner glatten, wachsbehandelten Beine.
Nach der Festrede stürmten die Raucher auf den Rasen hinaus.
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