Pralinen im Bett: Schuhdiebe, Mutterliebe, Seitenhiebe und weitere Tücken des Alltags (German Edition)
ihm keinen Vorwurf daraus machen können. Obwohl ich seit zehn Jahren trocken bin, spielte ich mit dem Gedanken, mich wieder an die Flasche zu klammern. Ehrlich. Ich war noch nie so nahe dran, die Errungenschaften eines ganzen Jahrzehnts zunichte zu machen.
Schließlich kam alles wieder an Bord, nur von meinem Herzallerliebsten keine Spur. Er hat garantiert eine geraucht , dachte ich, und jetzt fürchtet er sich, mir gegenüberzutreten. Aber nein, da kam er endlich in den Bus geklettert, buchstäblich in letzter Sekunde. »Beinahe wäre ich draußen geblieben«, gestand er. »Ich hab dran gedacht, in den Wald zu laufen und mein Glück bei den Wölfen zu versuchen.«
»Ich komme mit«, versprach ich, packte seine Hand und stürzte zur Tür, aber es war zu spät, der Bus war schon wieder in voller Fahrt und das Singen ebenso.
Als die irischen Lieder abgehakt waren, gab es ein Beatles-Medley, dann kamen die Songs im Stil von Rock Around the Clock, dann etwas über einen roten Hahn, bei dem alle mit den Armen wedeln und hahnähnliche Geräusche von sich geben mussten. Aus mir unerfindlichen Gründen erschien im Abstand von zehn Liedern unweigerlich »Take Me Home, Country Road« auf der Agenda, und schließlich gab es einen Tribut an die Rolling Stones, bei dem sich einer der »lustigsten« der (ohnehin extrem lustigen) Gesellschaft tatsächlich nicht entblödete, mit rausgestrecktem Hintern den Gang auf und ab zu stolzieren und Mick Jagger zu imitieren, während die anderen grölten: »Go on, you good thing!«
In dieser langen, langen Nacht wurde jedes Lied der Weltgeschichte gesungen. Es war die Hölle, und ich wünschte mir, ich würde aus Finnland stammen (die Finnen sind doch ziemlich wortkarg, oder nicht?).
Lärm von anderen Menschen geht mir einfach furchtbar auf die Nerven. Früher wohnte ich mal in einem Haus, in dem die Leute direkt über mir ständig um vier Uhr morgens merkten, dass ihnen ihre Einrichtung nicht mehr gefiel, und mit unglaublicher Spontaneität beschlossen, das Problem sofort zu bereinigen. Und in einer anderen Wohnung im Stock über mir hörte es sich an, als veranstalteten zwanzig bis dreißig Leute einen Stepptanz-Marathon – die seltsamste Klirr-Polter-Kombination, die jemals an mein Ohr gedrungen ist. Manchmal lud ich Bekannte extra in meine Wohnung ein, damit sie es sich anhörten – ich hätte wahrscheinlich Eintritt verlangen können –, und alle stimmten mir zu, dass es wirklich original so klang, als würden zwanzig, dreißig Leute mit Steppschuhen an den Füßen über mir herumtanzen (natürlich, wie könnte es anders sein, auf einem Holzboden).
Weil ich so viel reise und so oft im Hotel übernachte (was sehr glamourös klingt, ich weiß, und deshalb wird mein Gejammer vermutlich
auch wenig Mitleid hervorrufen), bin ich ständig dem Lärm anderer Menschen ausgeliefert: der Fernseher im Nebenzimmer, der Wecker im Nebenzimmer (der um halb sechs losgeht, aber nicht abgestellt wird, weil der Gast, den er hätte wecken sollen, inzwischen längst abgereist ist), lautstarke Gespräche über die Verkaufsautomaten direkt vor meiner Tür, Leute im Stock über mir, die mit reichlich Gestöhne athletischen Sex betreiben oder etwas veranstalten, was klingt wie ein Gymnastikkurs. Manchmal weine ich vor Frust darüber, dass ich nicht schlafen kann. Sehen Sie, ich übernachte ja nicht zum Spaß im Hotel, ich bin zum Arbeiten da. Sicher, ich weiß, ich kriege wunderbares Frühstück vom Zimmerservice und tolles kostenloses Duschgel, und ich muss mein Bett nicht machen – alles ganz wundervoll. Aber wenn ich nicht genug Schlaf bekomme, dann schwellen meine Augen zu, bis sie nur noch Schlitze sind, und manchmal muss ich mich dann in einem solchen Zustand auch noch ablichten lassen, dabei bin ich sowieso schon nicht besonders fotogen. Ohne Schlaf verflüchtigt sich mein Gehirn und an seiner Stelle erscheint ein Fettklumpen, was ziemlich blöd ist, wenn eine Journalistin mich fragt: »Was existiert auf der schmalen Grenze zwischen Lust und Schmerz?« Und falls Sie glauben, ich dürfte dann sagen: »Woher in Dreiteufelsnamen soll ich das denn wissen?«, irren Sie sich gewaltig. O nein! Ich muss mir eine zusammenhängende, geistreiche, charmante und auch noch originelle Antwort aus den Rippen leiern, sonst macht sich die Journalistin gnadenlos über mich lustig und erzählt allen ihren Landsmänninnen, sie sollen bloß mein Buch nicht kaufen.
Deshalb verreise ich nie ohne Ohrstöpsel. Doch
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