Pralinen im Bett: Schuhdiebe, Mutterliebe, Seitenhiebe und weitere Tücken des Alltags (German Edition)
verletzt und gedemütigt, während Christian und ich ein schrecklich schlechtes Gewissen hatten und uns deshalb miserabel fühlten.
Selbst heute noch erwische ich Jimmy gelegentlich dabei, wie er mich mit waidwunden Augen mustert. Aber jetzt ist Christian offiziell mein Friseur, und jeder weiß es. Haben sich Angst und Sorge also gelohnt? Aber ja, die Sache war es wert.
Erstmals veröffentlicht in Cara , Dezember 2003.
Spieglein, Spieglein
Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich zum ersten Mal merkte, dass mein Gesicht nicht passte. Ich war sechs, hatte einen pausbackigen, fröhlichen Bruder und eine kleine Schwester, die aussah wie ein dunkeläugiger Engel, eine echte Schönheit. Eine entfernte Verwandte meiner Mutter, die bald heiraten wollte, besuchte uns und kam zu dem Schluss, meine schöne Schwester wäre eine wunderbare Ergänzung für ihre Hochzeitsfeier. Als Schleppenträgerin vielleicht, oder als Mini-Brautjungfer. Für mich, die ich nicht schön war, hatte man keine Verwendung. Bis die entfernte Verwandte erkannte, dass meine Schwester nicht nur auffallend hübsch, sondern auch gefährlich eigensinnig war (diese beiden Eigenschaften treten häufig zusammen auf – macht Hässlichkeit sanftmütig?), und man sich möglicherweise nicht darauf verlassen konnte, dass sie zum richtigen Zeitpunkt den Mittelgang hinaufschreiten würde. Daher wurde für mich eine Alibifunktion erschaffen (Blumenmädchen, soweit ich mich erinnere, obwohl ich in Wirklichkeit natürlich eher ein Rausschmeißer war), damit ich bei Bedarf meine Schwester zur Ordnung rufen konnte. Selbstverständlich hätte ich dieses Ansinnen ablehnen sollen. Aber hey, ich war sechs, ich sollte ein langes Kleid und eine Hochsteckfrisur kriegen, ich durfte Blumen tragen …
Obgleich dieses Erlebnis schrecklich verstörend war, kam es nicht gänzlich überraschend. Schon davor hatte ich es gehasst, fotografiert
zu werden, und immer grausige Grimassen geschnitten, unter dem fragwürdigen Vorwand, dass man, wenn ich mich superhässlich machte, meine alltägliche Hässlichkeit nicht sah.
Nur Gott weiß, woher solche Neurosen kommen. Ich habe mein Leben sorgfältig durchkämmt und nach einem Trauma gesucht, nach dem einen Moment, in dem ich begann, mich selbst zu hassen, aber zu meiner großen Enttäuschung habe ich nichts dergleichen gefunden, gar nichts. Ich hatte eine stabile, vollkommen normale Kindheit und muss wohl selbst die Verantwortung übernehmen für die Vorstellungen, die ich über mein Aussehen entwickelt habe.
Ich schleppte diesen Selbsthass durch meine Teenagerjahre (würg!), bis ich erwachsen war, wo das Problem manchmal leichter erträglich wurde, aber nicht grundsätzlich verschwand. Okay, es ist nicht alles nur meine Schuld. Wir leben in Zeiten, die sich stark am Äußeren orientieren, und werden ständig mit unerreichbaren Schönheitsidealen bombardiert. Junge Mädchen ohne Spur von weiblichen Formen werden dafür benutzt, Klamotten für Frauen um die dreißig zu verkaufen. Bilder von Models werden so retuschiert, dass ihre Haut unmenschlich durchscheinend wirkt, ihr Körper wird drastisch in die Länge gezogen und wirkt dadurch noch dünner. Vor kurzem habe ich gelesen, dass Cindy Crawford gesagt haben soll: »Manchmal, wenn ich morgens aufwache, sehe nicht mal ich aus wie Cindy Crawford.« An guten Tagen weiß ich, dass nichts davon real ist, aber selbst an den besten Tagen kann ich nicht umhin, mich trotzdem an ihr zu messen. Oder mich zumindest schlecht zu fühlen, wenn ich mal wieder jämmerlich gescheitert bin.
Ich kenne keine Frau, die mit ihrem Äußeren hundertprozentig zufrieden ist, es scheint immer mindestens ein Attribut zu geben, das sie verändern möchte, aber – und es schockiert mich, das zugeben
zu müssen – ich mag fast gar nichts an mir. Nicht dass ich die Zeit damit vergeude, dagegen zu wüten, jedenfalls nicht dauernd – nur wenn ich unter prämenstrueller Anspannung leide oder mir etwas zum Anziehen für eine Hochzeit kaufen muss oder einer ehemaligen Mitschülerin begegne, die drei Kinder hat und immer noch Größe sechsunddreißig trägt …
Im Laufe der Jahre habe ich genug Therapie gemacht und genug von der Pop-Psychologie mitbekommen, um zu wissen, dass es gar nicht wirklich darum geht, wie ich aussehe, sondern vielmehr darum, wie ich zu mir selbst stehe. Ich habe gelernt, dass die meiste »Hässlichkeit« nur im Kopf existiert, dass selbst Leute, die objektiv umwerfend schön sind,
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