Pralinen im Bett: Schuhdiebe, Mutterliebe, Seitenhiebe und weitere Tücken des Alltags (German Edition)
genau das, was ich ihm gesagt hatte . Das passiert nicht mal bei den Besten seiner Zunft. Ich gebe mir selbst die Schuld daran. Natürlich muss eine Lücke klaffen zwischen der Vision in meinem Kopf und den Worten, die ich gebrauche, um sie zu beschreiben. Es funktioniert ja nicht einmal, wenn ich ein Bild mitbringe, das nachgeschaffen werden soll. Aber als hätte Christian einen übersinnlichen Transmitter in der Spitze seines spitzen Schuhs, so klinkte er sich in die Datei in meiner Fantasie ein, lud sie herunter und kopierte sie exakt bis in alle Einzelheiten.
Ich war begeistert, aber das nächste Mal, als ich zum Friseur ging, ließ ich mir wieder einen Termin bei Jimmy geben, weil ich mich dazu verpflichtet fühlte, verstehen Sie? (Das ist ja die Quintessenz meines Dilemmas.) Doch ungefähr einen Monat später wurde Jimmy erneut vermisst, und ehe man mich an der Rezeption anderswo unterbrachte, verlangte ich nach Christian.
Wieder war er fantastisch. Inzwischen war klar, dass er mir, wenn ich ihn darum bat, die Haare auch in ein perfektes maßstabsgetreues Modell der Freiheitsstatue föhnen würde, ohne Fragen zu stellen. Dann – und hier wird es erst richtig gut –, mitten beim Föhnen, hielt er inne, nahm seine dunkle Brille ab (wunderschöne dunkle Augen kamen dahinter zum Vorschein) und sagte: »Isch ’atte Sie schon einmal? Vor ein Monat vielleischt?«
Ich kicherte und bestätigte, dass er mich tatsächlich schon »gehabt« hatte und außerdem ein sehr gutes Gedächtnis besaß. Seine Augen hielten meine im Spiegel einen Moment zu lange fest, und er murmelte viel sagend: »Nur mantschmal.«
Es war eine Ewigkeit her, dass jemand mit mir geflirtet hatte, und deshalb dauerte es auch einen Augenblick, bis ich kapierte, was hier geschah. Doch sobald ich es begriffen hatte, stieg eine tiefe Röte von meiner Brust über Hals und Gesicht hinauf, bis in die
Ohren und die Haarspitzen, so schnell, als wäre ein Damm gebrochen. Man konnte es beinahe hören. Aber Christian war nicht schleimig oder ordinär, sondern einfach nur … nett …
Angenehm aufgeregt kehrte ich nach Hause zurück und erzählte meinem Herzallerliebsten von der Begegnung. »Ich kam mir richtig schön vor!«
In den nächsten Tagen erzählte ich jedem von Christian. Er steigerte mein Lebensgefühl so immens, dass ich alle Menschen, die ich liebte, dazu bringen wollte, sich das Vergnügen seiner Zuwendung zu gönnen. Schließlich hatte ich meinen Herzallerliebsten dazu überredet. Er weinte fast, als ich ihn losschickte; er hat schon unter normalen Umständen Angst vor dem Friseur. Aber als er zurückkam – mit einem wunderhübschen Haarschnitt, muss ich sagen –, machte er einen recht zufriedenen Eindruck. In den nächsten Stunden stand er länger vor dem Spiegel, als er das jemals getan hatte, dann rief er plötzlich aus: »Ich hab es bisher nie bemerkt, aber ich sehe doch eigentlich ganz gut aus, nicht wahr?« Beschämt gestand er noch: »Ich mag Christian lieber als Jimmy.«
Was mich zu meinem Problem bringt. Wie macht man Schluss mit seinem Friseur? In der westlichen Welt gibt es keine Etikette, nach der man sauber und unwiderruflich die Beziehung zu einem anderen Menschen abbrechen kann – außer der zu seinem Lieb’aber. Hat sich jemals eine Frau mit einer Freundin oder ein Mann mit einem Freund hingesetzt und leise gesagt: »Es war wirklich toll mit dir, aber seit einiger Zeit langweilst du mich zu Tode. Du redest von nichts anderem mehr als von deinen Kindern. Ich suche jemanden, der sich für Schuhe und für Big Brother interessiert.«
Genauso wenig gibt es einen Mechanismus, wie man mit einem Zahnarzt, einem Optiker oder in meinem Fall mit einem Friseur Schluss macht. Was soll man auch tun? Einen Vortrag zum Thema
»Ich hab einen anderen kennen gelernt« halten? Oder Phrasen dreschen nach dem Motto »Es liegt nicht an dir, sondern an mir?« Jeder würde einen doch für verrückt erklären.
Meine einzige Option waren Ausreden. Ich machte absichtlich Termine an Jimmys freiem Tag. »Oh, Jimmy ist heute nicht da? Schade. Hmm, ist denn bei Christian noch was frei?«
Wie nicht anders zu erwarten, kam irgendwann der Tag, an dem Jimmy mich erwischte. Ich war immer unvorsichtiger geworden. Fast hätte man glauben können, ich wollte erwischt werden, weil mir das Lügen und Betrügen einfach zu viel wurde.
Es war nicht angenehm. Wie könnte es auch? Obwohl sich Jimmy schwer zusammenriss, um es zu verbergen, war er doch
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