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Pralinen im Bett: Schuhdiebe, Mutterliebe, Seitenhiebe und weitere Tücken des Alltags (German Edition)

Pralinen im Bett: Schuhdiebe, Mutterliebe, Seitenhiebe und weitere Tücken des Alltags (German Edition)

Titel: Pralinen im Bett: Schuhdiebe, Mutterliebe, Seitenhiebe und weitere Tücken des Alltags (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marian Keyes
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Jahre, die ich dort arbeitete, schlechte Laune ausstrahlte. Zu meiner Jobbeschreibung gehörte die Verwaltung der Portokasse, und ich benahm mich, als wäre sie mein Eigentum. Selbstverständlich war das kein erfülltes Leben, aber während ein normaler Mensch irgendwann aufgebrochen wäre und sich einen anderen Job gesucht hätte, überkam mich eine Art Lähmung, sobald es darum ging, etwas zu tun, was gut für mich war. Außerdem hatte ich kein Interesse daran, beruflich weiterzukommen (jedenfalls redete ich mir das ein, sehr oft sogar, vor allem, wenn meine Mitbewohner gerade eine Gehaltserhöhung
oder eine Beförderung bekommen hatten). Ich wollte nur Spaß haben. Und lange Zeit hatte ich in meiner Freizeit auch eine Menge Spaß; ich lebte in London, ich war jung, frei und ledig, es gab Bars und Clubs und Partys, es war immer jemand da, mit dem man sich amüsieren konnte, und der Alkohol war das i-Tüpfelchen auf jedem Aspekt meines Lebens. Du hast Sorgen zu ertränken? Trink doch was! Du hast was zu feiern? Trink doch was! Der Hund deines Nachbarn ist gestorben? Trink doch was!
    Soziale Ereignisse waren schlicht und einfach Ausreden, die mir das Trinken leichter machten. Es gibt viele, viele Theaterstücke, deren zweite Hälfte ich nicht gesehen habe, weil ich in der Pause irgendjemanden beiseite nahm und ihm einredete, dass es doch viel amüsanter wäre, an der Bar zu bleiben.
    Ich trank schnell. Aber alle anderen taten das auch. Wie die meisten Alkoholiker versuchte ich (unbewusst), mich mit Leuten zu umgeben, die genauso viel tranken wie ich, damit mein Trinkverhalten nicht auffiel. Im Namen des Spaßhabens passierte es häufig, dass ich mich nicht erinnerte, wie ich nachts nach Hause gekommen war. Immer öfter wachte ich morgens mit unerklärlichen blauen Flecken und Prellungen (oder Männern) auf, oft war ich zu verkatert, um zur Arbeit zu gehen, aber ich glaubte ganz ehrlich, dass es allen anderen Leuten genauso ging.
    Alle Kästchen in meinem Leben waren abgehakt: Ich hatte Mitbewohnerinnen, einen Ausweis fürs Fitnessstudio, eine zwanghafte Besessenheit für Haarserum, Essstörungen, Männergeschichten. Okay, meine Beziehungen funktionierten nie. Aber gehörte das nicht dazu? Manchmal blieb ich abends mit meinen Mitbewohnerinnen zu Hause, wir tranken Chardonnay und jammerten darüber, dass Männer Scheiße waren.
    Doch mit Ende zwanzig ging es mächtig bergab. In betrunkenem Zustand wurde mein Verhalten immer extremer und unberechenbarer;
ich wurde aggressiv oder streitsüchtig oder geriet in eine hysterische Hochstimmung, tanzte auf Tischen und verspritzte den Alkohol in alle Himmelsrichtungen. Vorher wusste ich nie, wie genau ich mutieren würde, aber es waren allesamt schreckliche Persönlichkeiten, mit denen ich eigentlich nichts zu tun haben wollte.
    »Tut mir Leid«, wurde meine am häufigsten überstrapazierte Phrase, und die meisten Montagmorgen begannen damit, dass ich meinen Mitbewohnerinnen und Freunden und Kollegen und vor allem mir selbst leidenschaftlich schwor, nie wieder zu trinken. Das war die Lösung: nicht mehr trinken. Ich fing wieder an, ins Fitnessstudio zu gehen, ich ernährte mich einigermaßen gesund, ich nahm vielleicht sogar am einen oder anderen Abendkurs teil. Aber früher oder später – und es wurde immer früher – knickte ich ein, trank ein Gläschen, und schon saß ich wieder auf dem Karussell. Sobald ich erst mal wieder angefangen hatte, konnte ich nicht mehr aufhören. Und wenn ich aufgehört hatte, konnte ich es nicht dabei belassen.
    Ungefähr um diese Zeit begannen sich die Leute, mit denen ich jahrelang gefeiert hatte, seltsam zu benehmen – sie heirateten, kauften sich neue Sofas, bekamen Kinder; kurz gesagt, sie wurden sesshaft. Alles veränderte sich, und das machte mir Angst – vor allem, da sie auch noch anfingen, mich als »Alkoholikerin« zu bezeichnen. Sofort ging ich in die Defensive und argumentierte, nur weil sie sich gerade eine neue Couch gekauft hatten, hätten sie noch lange nicht das Recht, mich Alkoholikerin zu nennen. Und ich glaubte auch wirklich nicht, dass das Etikett auf mich zutraf: Das Leugnen ist eine äußerst wichtige Komponente der Krankheit, mir immer einen Schritt voraus, die Realität verschleiernd. Und es wurde immer heftiger, je weiter der Alkoholismus fortschritt.
    Ich glaubte einfach nicht, dass eine junge Frau Ende zwanzig, mit einem Job und einer Wohnung und hübschen Schuhen Alkoholikerin sein könnte. Alkoholiker sahen

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