Pralinen im Bett: Schuhdiebe, Mutterliebe, Seitenhiebe und weitere Tücken des Alltags (German Edition)
anders aus, das waren Randgruppen mit Dreadlocks, die auf der Straße unsichtbare Feinde beschimpften.
Als meine Freunde weiter darauf beharrten, ich sei Alkoholikerin und brauche Hilfe, brach ich den Kontakt zu ihnen ab. Ich ging nicht mehr aus und trank fortan allein, damit ich niemanden vor der Nase hatte, der mich verurteilen konnte, und so begann mein endgültiger Abstieg in den voll ausgeprägten Alkoholismus. Jedes Wochenende trank ich rund um die Uhr; manchmal wachte ich sogar mitten in der Nacht auf, um zu trinken. Die Wochenenden wurden immer länger, fingen donnerstags oder sogar schon mittwochs an und erstreckten sich bis Montag oder Dienstag; ich war, obwohl ich den Ausdruck nicht kannte, dem »binge drinking« verfallen, ich war eine echte Säuferin geworden.
Immer häufiger war ich zu krank, um zu arbeiten, ich hatte fast ganz aufgehört zu essen und mich zu waschen. Wenn ich im Dämmerlicht erwachte, wusste ich nicht, ob es Morgen oder Abend war, und die Selbstmordgedanken umschwebten mich wie Gespenster. Gefangen in Depression und Paranoia war die Welt für mich ein feindseliger Ort, und ich hasste es, meine Wohnung zu verlassen, weil ich das Gefühl hatte, dass jeder mich anstarrte. (Was vermutlich auch stimmte. Ich nahm es in jener Zeit wirklich nicht sehr genau mit der Körperpflege.)
Zu diesem Zeitpunkt hatte ich nur noch eine einzige Mitbewohnerin, und die kam auch nicht mehr nach Hause, weil sie Angst davor hatte, in welcher Verfassung sie mich vorfinden würde. Gelegentlich rief ich meine Schwester in New York an und lallte ihr etwas davon vor, dass ich mich umbringen wollte. In meiner unglaublichen Selbstbezogenheit setzte ich alles aufs Spiel. Ich hatte
mich dem Alkohol verschrieben, er war mein bester Freund, mein Geliebter, und ich war bereit, ihm zu folgen, ganz egal, wohin er mich führte.
Dank meines besorgten, verständnisvollen Chefs hatte ich noch meinen Job, aber ansonsten war mein Leben wie ein leeres Blatt Papier, das sich immer kleiner zusammenfaltete, bis fast nichts mehr übrig war.
Meine Depressionen wurden immer schwärzer und trostloser, meine Selbstmordgedanken immer bildhafter. Ich betete zu einem Gott, an den ich nicht glaubte, und flehte ihn an, mich am nächsten Morgen nicht mehr aufwachen zu lassen. Und da er mich nicht erhörte, war es jedes Mal wieder, als öffnete sich der Rachen der Hölle.
Gleichzeitig jedoch war ich dem Alkohol zutiefst dankbar. Er schien mir das einzig Gute in meinem Leben zu sein, das Einzige, was noch zwischen mir und dem absoluten Elend stand. Mir kam nie der Gedanke, dass es mir wegen des Alkohols so schlecht gehen könnte.
Dann, an einem Nachmittag im September 1993, zwei Wochen nach meinem dreißigsten Geburtstag – als ich eigentlich bei der Arbeit hätte sein sollen, aber stattdessen zu Hause die Folgen eines weiteren Besäufnisses durchlitt und die Zeit totschlug, bis das Zittern, die Übelkeit und die Angst endlich nachließen –, las ich in einer Zeitschrift eine kurze Geschichte. Sie war lustig und ein bisschen schrullig, und irgendetwas in mir reagierte plötzlich und sagte: »So was möchte ich auch machen.« (Ich werde oft gefragt, wer diese Geschichte geschrieben hat, aber ich weiß es nicht, ich habe sie nicht aufbewahrt. Ich hatte damals ja keine blasse Ahnung, dass sie der Auslöser für eine lebenswichtige Veränderung sein sollte, die sich in mir anbahnte.)
Es war völlig untypisch für mich, dass ich etwas anderes tun wollte als trinken, aber nun durchsuchte ich meine karge kleine Wohnung nach Schreibutensilien, fand einen DIN A4-Block und einen Stift, setzte mich hin und schrieb, ohne ein einziges Mal innezuhalten, eine Kurzgeschichte. (Eine nette kleine Geschichte über einen Engel, der eine Wette verliert und auf die Erde kommt. Ich war unglaublich stolz darauf.)
Ich hatte nie eine Ahnung davon gehabt, dass ich gerne schreiben wollte, aber rückblickend ergab das Timing durchaus einen Sinn: Von meinem Leben war fast nichts mehr übrig, es war, als stünde ich auf einem Stück Land, das immer kleiner wurde, zerfressen vom Alkohol, und als hätte die Krise etwas aufgebrochen, was sich tief in meinem Inneren verbarg – ein letzter Versuch zu verhindern, dass ich endgültig verschwand. (Das ist absolut keine Methode, die ich einem aufstrebenden jungen Schriftsteller empfehlen möchte, aber wie man sich bettet, so liegt man eben.)
In den nächsten vier Monaten schrieb ich weitere vier Kurzgeschichten,
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