Pralinen im Bett: Schuhdiebe, Mutterliebe, Seitenhiebe und weitere Tücken des Alltags (German Edition)
allesamt Reflektionen über meinen Zustand in jener Zeit. Eine handelte von einer Frau, die gestorben ist, es aber noch nicht gemerkt hat; sie wandert in ihrem Leben herum und fragt sich, warum keiner sie sieht. In einer anderen ging es um eine Kreditkarte, die sich in ihren Eigentümer verliebt.
Ich war begeistert. Und ich gehörte nicht zu den verschämten Autoren, die sterben würden, wenn irgendjemand aus Versehen über ihre Arbeit stolpert – ich hielt praktisch wildfremde Leute auf der Straße an und drängte ihnen mein Geschreibsel auf. Aber nicht einmal das Schreiben bewirkte, dass ich mit dem Trinken aufhörte, und im Januar 1994 hatte ich einen ziemlich spektakulären Zusammenbruch. Nach einem Selbstmordversuch landete ich in einer Entzugsklinik in Irland, wo man mich auf Grund der Diagnose »chronischer Alkoholismus« behandelte.
Ein klarer Fall von Fehldiagnose, dachte ich. Ich war doch keine Alkoholikerin, auf gar keinen Fall! Obwohl ich entsetzt war, welche Wendung mein »Leben« genommen hatte, muss ich zugeben, dass mich der Gedanke, eine Menge eingesperrter Alkoholiker aus der Nähe zu sehen, auch irgendwie reizte. Und es bestand immer die Chance, dass das eine oder andere berühmte Gesicht darunter war.
Aber der Entzug war überhaupt nicht das, was ich mir vorgestellt hatte. Nachdem ich etwa zehn Tage dort war, rasteten die Zahnrädchen plötzlich ein, und ich wäre fast blind geworden von dem, was ich sah. Als ich auf mein Leben zurückblickte, wurde mir auf einmal klar, dass alles Schlechte darin eine Folge des Alkoholkonsums gewesen war, dass jedes Mal, wenn ich etwas getrunken hatte, der Alkohol ein Inferno ausgelöst hatte, das alles niederbrannte, was sich ihm in den Weg stellte. Doch das Spiel war jetzt aus, und der einzige Weg nach vorn führte in ein Leben ohne Alkohol. Wie war das alles nur geschehen? Ausgerechnet mir? Wie würde ich das überleben? Die Trauer war überwältigend. Es kam mir vor wie das Ende einer großen, leidenschaftlichen Liebesaffäre, und ich wehrte mich wütend dagegen.
Und dann, sechs Wochen später, war ich wieder draußen. Die Sonne war zu hell, die Geräusche waren zu laut, sogar das Busfahren machte mir Angst. Es war, als müsste ich alles zum ersten Mal tun, und ich fühlte mich so schutzlos und verletzlich wie ein neugeborenes Baby.
Aber erstaunlicherweise hatte ich nicht das Bedürfnis zu trinken. Der Zwang, der früher regelmäßig über mich gekommen war und mich in den nächsten Schnapsladen getrieben hatte, war verschwunden. Und da war noch etwas anderes – ein winziger Schimmer von Stolz. (Ein Gast, den ich zum allerersten Mal in meinem
Leben begrüßte.) Ich hatte genug davon, für andere Leute die kostenlose Varietéshow zu geben.
Ich kehrte nach London zurück, wo ich, dank der außerordentlichen Großzügigkeit meines Chefs und meiner Kollegen, meine alte Arbeit wieder aufnehmen konnte. Außerdem hatte ich auch noch meine Wohnung, und es war sehr hilfreich, in diese gewohnte Umgebung zurückzukehren. Schließlich brauchte ich meine ganze Energie, um durch einen normalen Tag zu kommen. Im Entzug sagte man mir, dass meine emotionale Entwicklung zum Stillstand gekommen sei, als ich im Teenageralter meine Liaison mit dem Alkohol eingegangen war. Jedes Mal, wenn ich enttäuscht war oder eine Auseinandersetzung mit jemandem hatte, vermied ich es, diese Erfahrung wirklich zu durchleben, indem ich entweder gleich etwas trank oder mir sagte, dass ich ja später wieder etwas trinken konnte. So ging ich erfolgreich jeder Weiterentwicklung aus dem Weg.
Jetzt, wo es keinen anderen Ausweg mehr gab, musste ich das Leben zum ersten Mal nach seinen Bedingungen leben. Ich ging zu Zwölf-Schritte-Treffen, aß eine Menge Schokolade, lenkte mich ab mit Einkaufen und mit den Romanen von Jacqueline Susann, aber ich griff nicht zur Flasche.
Und ich begann wieder zu schreiben. Ich hatte furchtbar Angst gehabt, dass ich womöglich nicht mehr würde schreiben können, wenn ich aufhörte zu trinken. (Diese ganze Geschichte mit den unglücklichen Künstlern … Ich hatte mich immer ausnehmend gern in dieser Rolle gesehen.) Aber ich brauchte den Alkohol nicht: Jemand bei einem Treffen hatte mir glaubhaft versichert, dass man auch ohne Alkohol ein unglücklicher Künstler sein konnte.
Voller Optimismus beschloss ich also, meine Kurzgeschichten an einen kleinen irischen Verlag zu schicken, begleitet von einem Brief, in dem stand, dass ich mittlerweile angefangen
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