Pretty - Erkenne dein Gesicht
dumm." Sie beugte sich vor, packte seinen Nacken und küsste ihn. David war nicht gekommen, um sie zu retten. Entweder war er tot oder es war ihm egal, was aus ihr wurde. Er war hässlich und Zane war schön und prickelnd und er war hier. "Wir brauchen uns jetzt gegenseitig", sagte sie.
Sie küssten sich noch immer, als die Specials die Bude stürmten.
Teil 2
Das Heilmittel
Küsse sind ein Schicksal besser als Weisheit,
e. e. cummings, "since feeling is first“
Durchbruch
Über Nacht hatte der erste Frost des Winters eingesetzt. Die Bäume glitzerten wie Glas und in den kahlen Zweigen leuchteten Eiszapfen. Funkelnde schwarze Finger streckten sich über das Fenster und zerschnitten den Himmel in scharfe kleine Teile.
Tally presste eine Hand auf die Scheibe und ließ die Kühle durch das Glas und in ihre Handfläche sickern. Die beißende Kälte machte das Nachmittagslicht schärfer, so brüchig, wie sie sich die Eiszapfen draußen vorstellte. Das machte auch den Teil ihrer Gedanken klar, der noch immer in hübschen Träumen versinken wollte.
Als sie endlich ihre Hand von der Fensterscheibe löste, blieb ein verschwommener Abdruck auf dem Glas, der dann langsam verschwand.
"Die verschwommene Tally gibt’s nicht mehr", sagte sie, dann grinste sie und legte ihre eiskalte Handfläche an Zanes Wange.
"Was zum ...", murmelte er und bewegte sich gerade genug, um ihre Hand wegzuschieben.
"Aufwachen, Pretty-Nase."
Er öffnete die Augen einen Spalt. "Mach es dunkel", befahl er seiner Interface-Manschette.
Das Zimmer gehorchte und das Fenster wurde trübe.
Tally runzelte die Stirn. "Wieder Kopfschmerzen?" Zane hatte noch immer ab und zu eine furchtbare Migräne, die ihn für Stunden ausschalten konnte, es war jedoch nicht mehr so schlimm wie in den ersten Wochen, nachdem er die Pille genommen hatte.
"Nein", murmelte er. "Müde."
Sie streckte die Hand nach der manuellen Kontrolle aus und ließ das Fenster wieder durchsichtig werden. "Dann ist es Zeit zum Aufstehen. Sonst kommen wir zu spät zum Schlittschuhlaufen."
Er schaute sie durch einen Augenschlitz an. "Schlittschuhlaufen ist Pfusch."
"Schlafen auch. Jetzt steh auf und sei prickelnd."
"Prickelnd ist Pfusch."
Tally hob eine Augenbraue, was ihr nicht mehr wehtat. Sie war eine brave Pretty gewesen und hatte sich die Stirn richten lassen, aber zur Erinnerung an die Narbe hatte sie die Stelle mit einer pulsierenden Tätowierung verziert: schwarze keltische Wirbel direkt über ihrem Auge, die sich im Takt ihres Herzschlags bewegten. Und wo sie schon einmal dabei war, hatte sie die gleiche Augenopi vornehmen lassen wie Shay, mit rückwärtsgehenden Uhren und allem Drum und Dran.
"Prickelnd ist kein Pfusch, du Faulpelz." Tally legte die Hand noch einmal auf das Fenster, um sie wieder eisig werden zu lassen. Ihre Interface-Manschette funkelte in der Sonne wie die gefrorenen Bäume unten und zum millionsten Mal suchte sie die metallene Oberfläche nach irgendeiner Naht ab. Aber die Manschette schien aus einem einzigen Stück Stahl gefertigt worden zu sein und passte sich perfekt dem Oval ihres Handgelenks an. Sie zog vorsichtig daran und spürte, wie sie ein klein wenig nachgab; Tally wurde schließlich jeden Tag dünner. "Kaffee, bitte", sagte sie mit honigsüßer Stimme zu der Manschette.
Kaffeeduft begann sich im Zimmer auszubreiten und Zane bewegte sich wieder. Als ihre Hand kalt genug geworden war, legte Tally sie auf seine nackte Brust, Er zuckte zusammen, wehrte sich aber nicht, er packte nur das Bettzeug mit beiden Händen und holte zitternd Atem. Seine Augen öffneten sich und die goldene Iris leuchtete wie die kalte Wintersonne. "Das war wirklich prickelnd."
"Ich dachte, prickelnd ist Pfusch."
Er lächelte und zuckte schläfrig mit den Schultern.
Tally erwiderte sein Lächeln. Wenn er gerade aufgewacht war, sah Zane besonders schön aus. Die Überbleibsel des Schlafs machten seinen intensiven Blick weicher und ließen seine strengen Züge fast verletzlich aussehen, wie die eines verirrten und hungrigen kleinen Jungen. Tally erwähnte das natürlich nie, sonst hätte Zane wahrscheinlich eine Opi machen lassen, um das zu beenden.
Sie ging hinüber zum Kaffeemacher und musste dazu über die Haufen aus nicht recycelter Kleidung und schmutzigem Geschirr hinwegsteigen, die jeden Quadratmeter des Bodens bedeckten. Wie immer herrschte in Zanes Zimmer das absolute Chaos. Sein Schrank stand halb offen, er war so voll gestopft, dass er
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