Pretty - Erkenne dein Gesicht

hatte."
    Tally zuckte mit den Schultern. "Na, alle sind eben verschieden."
    "Ja, wahrscheinlich", sagte Shay leise. "Aber da hab ich mich doch gefragt... es war nicht einfach nur, dass ihr auf den Mast geklettert seid, oder? An dem Tag ist noch was anderes passiert, Skelett. Du warst vorher noch nie allein mit Zane, aber seit dem Tag habt ihr beide euren eigenen Geheimbund, ihr lächelt über eure Witze und tuschelt die ganze Zeit. Und ihr lasst euch überall nur noch zu zweit blicken."
    "Scheelauge ...", sagte Tally und seufzte. "Tut mir leid, wenn wir so auf Paar gemacht haben. Aber du weißt doch, das ist meine erste Verliebtheit als Pretty."
    Shay starrte ins Feuer. "Das habe ich zuerst auch gedacht. Aber darüber seid ihr längst hinaus, Tally. Ihr seid so anders als wir Restlichen - alle beide." Ihre Stimme war jetzt kein Flüstern mehr. "Zane kriegt diese komischen Kopfschmerzen, die er zu verstecken versucht, und das warst du doch, die da eben geschrien hat, oder nicht?"
    Tally schluckte.
    "Was hat euch an dem Tag so verändert?"
    Tally zeigte auf ihr Handgelenk. "Pst!"
    "Komm mir nicht mit Pst. Sag es endlich!"
    Tally schaute sich besorgt um. Das Feuer verzehrte weiteres Reisig und zischte laut und die meisten Krims sangen Trinklieder. Niemand hatte Shays Ausbruch gehört, aber Tally spürte das harte, lauschende Metall der Manschette um ihr Handgelenk. "Das kann ich dir nicht sagen, Scheelauge."
    "Doch, das kannst du." Shays Gesicht schien sich im Feuerschein zu verändern, die prettytypische Sanftheit wurde weggebrannt, als ihr Zorn wuchs. "Verstehst du, Tally, ich habe mich an ein paar Dinge erinnert, als ich oben auf dem Mast war und auf den Boden gestarrt und mich gefragt habe, ob ich das wohl überleben würde. Und dann sind mir noch ein paar Dinge eingefallen, als ich durch das Eis gefallen und auf dem Fußballplatz aufgeprallt bin. Eine Menge Erinnerungen aus Ugly-Zeiten waren wieder da. Ist das nicht toll?"
    Tally wandte sich von Shays hartem Gesichtsausdruck ab. "Ja, sicher."
    "Schön, dass du das auch so siehst. Also, daran habe ich mich erinnert: Ich bin deinetwegen hier in der Stadt, Tally. Alle diese Geschichten, die ich erzählt habe? Totaler Pfusch. Was wirklich passiert ist, war, dass du mir nach Smoke gefolgt bist, um mich zu verraten, richtig?"
    Tally spürte ihn wieder, diesen Schlag in den Magen, wie vorhin, als sie Dr. Cable zwischen den Bäumen gesehen hatte: Erwischt. Von dem Moment an, als sie die Wirkung der Pillen verspürte, hatte Tally auf irgendeine Weise gewusst, dass dieser Augenblick kommen würde, dass Shay sich irgendwann daran erinnern würde, was damals wirklich passiert war, als sie noch Uglies waren. Aber so bald hatte Tally nicht damit gerechnet. "Ja, ich bin dir gefolgt, um dich zurückzuholen. Was in Smoke passiert ist, war meine Schuld. Die Specials haben mich dorthin verfolgt."
    "Richtig, du hast uns verraten. Nachdem du mir David ausgespannt hattest natürlich erst." Shay lachte bitter. "Ich wühl die ganze Davidsache ja nicht gern wieder auf, aber wer weiß, ob ich mich morgen noch daran erinnere, was? Also dachte ich, ich erwähne es jetzt, wo ich prickelnd bin."
    Tally drehte sich zu ihr um. "Du wirst dich daran erinnern."
    Shay zuckte nur mit den Schultern. "Kann sein. Aber solche Nummern wie heute haben wir ja nicht so oft. Also könntest du morgen schon wieder ungeschoren davonkommen."
    Tally holte tief Luft und nahm den Geruch von Holzrauch, brennendem Torf, Fichtennadeln und vergossenem Champagner in sich auf. Das Licht des Feuers zeigte alles taghell, sogar die Rillen auf ihren Fingerkuppen. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte.
    "Sieh mich an", sagte Shay. Ihre Tätowierung wirbelte heftig herum, die keltischen Kringel verschwammen ineinander wieFahrradspeichen. "Sag mir, was an dem Tag mit dir passiert ist. Sorg dafür, dass ich prickelnd bleibe. Das bist du mir schuldig."
    Tally schluckte. Sie und Zane hatten einander versprochen, niemandem etwas zu sagen — noch nicht. Aber sie hatten beide nicht gewusst, wie weit Shay gekommen war - sie war prickelnd genug, um auf eigene Faust auf den Mast zu steigen und sich endlich daran zu erinnern, was zu Ugly-Zeiten wirklich geschehen war. Vermutlich würde sie ein Geheimnis für sich behalten können und wenigstens Hoffnung schöpfen, wenn sie von dem Heilmittel hörte. Und nur so konnte Tally damit anfangen, ihr Verhalten wiedergutzumachen.
    Und Shay hatte Recht: Tally stand in ihrer Schuld.
    "Na gut. An