Pretty - Erkenne dein Gesicht
verlassen: Ich bin nicht deine Freundin." Sie drehte sich um und stapfte zwischen den Bäumen davon. Die gefrorenen Äste schlug sie wütend beiseite.
Tally schaute sich im Kreis der anderen Krims um. Die Champagnergläser in ihren Händen glitzernden grell im Mondlicht und reflektierten das verschwenderische Feuer. Tally fühlte sich allein und verletzlich, da alle sie anstarrten. Aber nach einigen weiteren schrecklichen Minuten der Stille wandten sie sich ab und fingen wieder an, Geschichten vom Durchbruch zu erzählen.
ln Tallys Kopf wirbelte alles. Shays Wandel war so beängstigend gewesen, so umfassend, und dabei hatte sie nicht einmal eine Pille genommen. Ein paar Minuten echten Zorns hatten sie aus einer friedlichen Pretty in ein wildes Tier verwandelt ... das ergab doch keinen Sinn.
Plötzlich fielen Tally Dr. Cables letzte Worte ein, darüber, dass Zane den Specials geholfen hatte. Nachdem seine Freunde weggelaufen waren, war er sicher zu ihr gebracht worden und hatte alles gestanden, was er über Smoke und den geheimnisvollen David wusste, der Uglies dorthin führte. Vielleicht hatte ihn das in all diesen Monaten prickelnd erhalten - dass er sich schämte, weil er damals nicht mitgegangen war, und sich schuldig fühlte, weil er seine Freunde an Dr. Cable verraten hatte.
Natürlich hatte Tally ihre eigenen schändlichen Geheimnisse. Und deshalb war sie ebenfalls prickelnd gewesen, hatte nie richtig dazugehört, hatte nie so ganz genau gewusst, was sie wollte, egal wie viel Champagner sie trank. Alte und hässliche Gefühle lagen immer auf der Lauer, waren in ihr versteckt und bereit, sie zu verändern.
Und Shay war ebenfalls verändert worden — nicht durch Schuldgefühle, sondern durch unterdrückten Zorn. Verborgen hinter ihrem hübschen Lächeln lagen die verschütteten Erinnerungen an den Verrat, der ihr David, Smoke und schließlich auch die Freiheit genommen hatte. Sie hatte nur auf den Mast steigen und durch das Eis stürzen müssen - genug Stimulanz, um die Blockade in ihrer Erinnerung zu durchbrechen -, um den Zorn an die Oberfläche zu holen. Und jetzt hasste sie Tally.
Vielleicht würde Shay die Pillen gar nicht brauchen, vielleicht reichten alte Erinnerungen an Ugly-Zeiten. Vielleicht - und das wäre den vielen Gemeinheiten zu verdanken, die Tally Youngblood ihr angetan hatte - würde Shay ihren eigenen Weg zu einer Heilung finden.
Regen
Tally wurde mit hässlichen Gedanken wach.
Der Tag war das, was sie sonst als prickelnd bezeichnet hatte - das graue Morgenlicht sah auf irgendeine Weise hell und funkelnd aus, scharf genug, um Fleisch zu durchschneiden. Der Regen schlug mit boshaften, halb gefrorenen Tropfen gegen Zanes Fenster und hörte sich an wie ungeduldig tippende Fingernägel.
Aber Tally machte der Regen nichts aus. Er verwischte die Türme und Parks der Stadt, reduzierte die Sicht auf graue und grüne Flecken, und die Lichter anderer Häuser zeichneten Heiligenscheine ins feuchte Gras.
Der Regen hatte spät am Abend der Party eingesetzt und schließlich das Freudenfeuer der Krims gelöscht, als ob Dr. Cable die Himmel angefleht hätte, die Feier zu ertränken. Seit zwei Tagen waren Tally und Zane im Haus gefangen, wo sie zwischen den intelligenten Wänden von Pulcher Mansion nicht frei sprechen konnten. Sie hatte ihm nicht einmal von Shays Ausbruch oder von ihrer Begegnung mit Dr. Cable im Park erzählen können. Nicht, dass sie sich darauf freute, erklären zu müssen, was sie Shay gestanden hatte, oder das zur Sprache zu bringen, was Dr. Cable ihr über Zanes Vergangenheit erzählt hatte.
Dieser Morgen hatte einen Berg neuer Pings gebracht, aber Tally wollte einfach keine weiteren Bitten um Aufnahme bei den Krims hören. Der Einsturz des Stadions und die Nachrichtensendungen der beiden vergangenen Tage hatten sie zur heißesten Clique in New Pretty Town werden lassen, aber eine Herde neue Mitglieder war genau das, was die Krims nicht brauchten. Was sie brauchten, war prickelnd zu bleiben. Tally fürchtete jedoch, dass ein dritter Regentag drinnen sie allesamt in Pretty-Gehirne zurückverwandeln würde.
Zane war schon wach. Er trank Kaffee und starrte aus dem Fenster, wobei er zerstreut an seiner Manschette herumdrehte. Er schaute zu ihr herüber, als sie ihn anstarrte, blieb aber stumm. Ihr Schweigen seit dem Tag, an dem sie die Manschetten bekommen hatten, war ihnen verschwörerisch vorgekommen, ihr heimliches Geflüster intim. Aber Tally fragte sich, ob dieses wenige
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