Pretty - Erkenne dein Gesicht
Reden sie nach und nach voneinander entfernte. Shay hatte in einer Sache Recht gehabt: Tally hatte Zane vor dem Tag, an dem sie auf den Mast geklettert waren, kaum gekannt. Was Dr. Cable ihr gesagt hatte, brachte Tally zu der Erkenntnis, dass sie ihn noch immer nicht besonders gut kannte.
Aber wenn sie sich erst einmal von den Manschetten befreit und es sicher aus der Stadt heraus geschafft hatten, wenn ihre Erinnerungen von der prettytypischen Vagheit befreit waren, würde nichts mehr sie daran hindern können, einander einfach alles zu erzählen.
"Ziemliches Pfuschwetter, was?", sagte sie.
"Ein paar Grad weniger, dann würde es schneien."
Tallys Gesicht hellte sich auf. "Ja, Schnee hätte den totalen Pretty-Faktor." Sie hob ein schmutziges T-Shirt vom Boden auf, knüllte es zusammen und warf es ihm an den Kopf.
"Schneeballschlacht!"
Er ließ das T-Shirt von sich abprallen und lächelte zärtlich. Zanes Kopfschmerzen vom Partyabend hatten sich gelegt, doch sie hatten ihn ernster werden lassen. Ohne ein Wort zu sagen, wussten sie beide, dass sie bald aus der Stadt fliehen mussten.
Aber alles hing von den Manschetten ab.
Tally zog versuchsweise an ihrer. Die Manschette rutschte von ihrem Handgelenk und nur wenige Zentimeter vor dem endgültigen Abstreifen blieb sie hängen. Tally hatte am Vortag kaum gegessen, entschlossen, zu einem Nichts abzumagern, wenn sie das von dem Teil befreien könnte, aber jetzt fragte sie sich, ob sie jemals dünn genug sein würde. Der Durchmesser der Manschette kam ihr um Haaresbreite schmaler vor als der der Knochen ihrer Hand, ein Maß, das auch noch so langes Hungern nicht ändern konnte.
Sie starrte die roten Streifen an, die das Metall hinterlassen hatte. Der große Knochen, der das Gelenk ihres linken Daumens ausmachte, war das Hauptproblem. Tally malte sich aus, wie sie den Daumen so fest zurückriss, dass der Knochen brach, wonach sie die Manschette abstreifen könnte, aber die Vorstellung war einfach zu schmerzhaft.
Von der Tür kam ein Ping und Tally seufzte. Irgendwer hatte es satt, ignoriert zu werden, und erschien persönlich.
"Wir sind nicht hier, oder?", fragte Zane.
Tally zuckte mit den Schultern. Nicht, wenn Shay draußen stand oder irgendein Möchtegern, der sich den Krims anschließen wollte. Und wo sie sich das schon überlegte, gab es eigentlich keinen Menschen, den sie gerade sehen wollte. Wieder ertönte das Ping.
"Wer ist es denn überhaupt?", fragte Tally das Zimmer, aber das Zimmer wusste es nicht. Was bedeutete, dass, wer immer dort draußen stand, keinen Interface-Ring trug.
"Das ist ... interessant", sagte Zane. Sie tauschten einen Blick und Tally registrierte den Moment, in dem ihrer beider Neugier siegte.
"Na gut, aufmachen", befahl sie dem Zimmer.
Die Tür glitt zur Seite und zeigte Fausto, der aussah wie ein halb ertrunkenes Kätzchen. Seine Haare klebten am Kopf, seine Kleidung triefte, aber seine Augen strahlten. Unter den Armen trug er zwei Hubbretter, von denen Wasser auf den Boden tropfte.
Er kam wortlos herein und ließ die Bretter zu Boden fallen. In Kniehöhe kamen sie zitternd zum Stillstand, während Fausto vier Auffangarmbänder und zwei Bauchsensoren aus der Tasche zog. Er griff nach einem Brett, drehte es um und zeigte auf die Armaturen auf der Unterseite. Tally rollte sich aus dem Bett, um sich das Brett genauer anzusehen. Die Riegel, die die Armaturen sicherten, waren entfernt worden und zwei rote Drähte lugten heraus. Ihre Enden waren zusammengewickelt und mit schwarzem Klebeband versiegelt.
Fausto mimte, wie er die Drähte auseinanderzog, dann öffnete er die Hände zu einer Geste, die bedeutete: Wo ist es? Er grinste.
Tally nickte langsam. Fausto war seit dem Durchbruch prickelnd geblieben und seine Tätowierung wirbelte umher. Er hatte wenigstens die verregneten Tage und Nächte nicht vergeudet. Diese Bretter waren auf Ugly-Art frisiert worden. Wenn die Drähte auseinandergerissen wurden, brachen Leitsysteme und Spurensucher zusammen und lösten die Bretter vom Interface der Stadt.
Wenn sie sich also erst von den Manschetten befreit hätten, würden Zane und Tally hinfliegen können, wo immer sie wollten.
"Wahnsinn", sagte sie laut und es war ihr egal, ob die Wände das hörten.
***
Sie warteten nicht auf Sonnenschein.
Durch den Regen zu fliegen war wie unter einer eiskalten Dusche zu stehen. Das Loch in der Wand hatte Schutzbrillen und Griffschuhe ausgehustet, deshalb konnten sie sich, wenn auch nur mit großer
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