Pretty - Erkenne dein Gesicht
Tally wandte sich ab, weil sie nicht wusste, was sie noch sagen sollte. Aber als sie nach unten blickte, sah sie nur noch Dunkelheit. "O Mist", sagte sie leise.
Die Stadt war zu Ende. Es war zu spät zum Springen.
***
Nebeneinander starrten sie in die Dunkelheit und der Wind trug sie immer weiter weg.
Endlich brach Peris das Schweigen. "Wir werden irgendwann landen, ja?"
"Aber nicht schnell genug." Sie seufzte. "Die Wächter wissen wahrscheinlich schon, dass unsere Manschetten flambiert worden sind. Bald werden sie uns suchen. Und wir sitzen hier oben wie die Maus in der Falle."
"Ach. Ich wollte dir wirklich nicht alles vermasseln."
"Das ist nicht deine Schuld. Ich hab zu lange gewartet." Tally schluckte und fragte sich, ob Zane jemals erfahren würde, was passiert war. Würde er glauben, sie sei beim Absprung tödlich verunglückt? Oder würde er vermuten, dass sie kalte Füße bekommen hatte, so wie Peris?
Was immer Zane denken mochte, Tally sah, wie ihre gemeinsame Zukunft sich auflöste, wie sie in den fernen Lichtern der Stadt hinter ihnen verschwand. Wer konnte denn wissen, was die Specials mit ihrem Gehirn anstellen würden, wenn sie sie wieder eingefangen hatten?
Sie sah Peris an. "Ich habe wirklich gedacht, du wolltest mitkommen."
"Hör mal, Tally, ich bin da einfach so reingerutscht. Ich fand es aufregend, ein Krim zu sein, und ihr wart meine Freunde, meine Clique. Was hätte ich denn tun sollen? Gegen das Weglaufen argumentieren? Argumente sich doch Pfusch."
Sie schüttelte den Kopf. "Ich hatte dich für prickelnd gehalten, Peris."
"Bin ich auch. Aber prickelnder als heute Nacht will ich eben nicht werden. Ich finde es lustig, die Regeln zu brechen, aber da draußen leben?" Er zeigte auf die Wildnis unter ihnen, ein kaltes, unfreundliches Meer aus Dunkelheit.
"Warum hast du mir das nicht schon längst gesagt?"
"Ich weiß nicht. Ich glaube, mir ist erst hier oben klar geworden, dass euch das wirklich ernst war ... dass ihr nie wieder zurückkommen wollt."
Tally schloss die Augen und versuchte sich daran zu erinnern, wie es war, auf Pretty-Weise zu denken - wenn alles vage und verschwommen war, die Welt nur eine Quelle von Vergnügungen, die Zukunft ein unklares Geflimmer. Ein paar Tricks reichten nicht, um alle prickelnd werden zu lassen, dachte sie; man musste es wirklich wollen, dieses andere Denken. Vielleicht hatte es immer schon Leute mit Pretty-Denkweise gegeben, schon damals, ehe die Operation entwickelt worden war.
Vielleicht waren manche Leute auf diese Weise auch glücklicher.
"Aber jetzt kannst du bei mir bleiben", sagte er und legte den Arm um sie. "So sollte es doch eigentlich sein. Du und ich als Pretties - und Freunde fürs Leben."
Tally schüttelte den Kopf und ihr wurde schlecht. "Ich werde nicht bleiben, Peris. Auch wenn sie mich heute Nacht zurückholen, werde ich eine Fluchtmöglichkeit finden."
"Warum bist du hier so unglücklich?"
Sie seufzte und schaute hinunter in die Finsternis. Zane und Fausto waren jetzt sicher schon auf dem Weg zu den Ruinen und nahmen an, dass sie nicht weit hinter ihnen folgte. Wieso hatte sie sich diese Gelegenheit entgehen lassen? Immer wieder schien die Stadt sie am Ende zurückzufordern. War sie in Wirklichkeit, im tiefsten Herzen, wie Peris?
"Warum ich unglücklich bin?", wiederholte Tally leise. „Weil die Stadt uns so werden lässt, wie sie uns haben will, Peris. Und ich will ich selbst sein. Deshalb."
Er drückte ihre Schulter und sah sie traurig an. "Aber wir sind jetzt besser als die Leute früher. Vielleicht gibt es gute Gründe dafür, uns zu ändern, Tally."
"Diese Gründe sind sinnlos, solange ich keine Wahl habe, Preis. Und sie lassen niemandem eine Wahl." Tally schüttelte seine Hand von ihrer Schulter und starrte zurück auf die ferne Stadt. Dort erhoben sich Blinklichter in die Luft, eine Flotte Hubwagen. Sie erinnerte sich daran, dass die Wagen der Specials von Drehflügeln in der Luft gehalten wurden, wie die altertümlichen Helikopter der Rusties, und dass sie deshalb auch außerhalb des Gitters fliegen konnten. Sicher kamen sie in Tallys Richtung, dem letzten Signal der Manschette auf der Spur.
Sie musste raus aus diesem Ballon, und zwar sofort.
Ehe er gesprungen war, hatte Fausto die Sinkleine gezogen, und heiße Luft strömte schon die ganze Zeit aus der Ballonhülle. Aber sie verloren nur sehr langsam an Höhe, da der Ballon von der Aktion mit den Manschetten noch stark aufgeheizt war... der Boden schien kein
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