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Pretty - Erkenne dein Gesicht

Pretty - Erkenne dein Gesicht

Titel: Pretty - Erkenne dein Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Westerfeld
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grüne Triebe. Ob die Flut ihn wohl lebend aus dem Boden gerissen hatte?
    Tallys Finger befühlten die Stelle, wo der Baum abgebrochen war, und sie sah, dass etwas unnatürlich Gerades ihn getroffen hatte.
    Wie die Kante eines Hubbrettes.
    Ein paar Meter von ihr entfernt schwamm noch ein Stück Holz, das mit einer ebenso scharfen Kante abgeschnitten worden war. Tallys Bruchlandung hatte den alten faulen Baum in zwei Hälften gespalten. Ihr Gesicht blutete von dem Aufprall, sie konnte noch immer Blut schmecken. Aber welchen Schaden hatte wohl das Hubbrett erlitten?
    Tally drehte die Ruffunktion ihrer Armbänder noch weiter auf, was sie Batterien kosten würde. Und mit jeder Sekunde trug die Strömung sie weiter von der Stelle weg, an der sie gelandet war.
    Kein Hubbrett hob sich über den Wasserspiegel, nichts zupfte an ihren Handgelenken. Als die Minuten vergingen, gestand Tally sich langsam ein, dass das Brett tot war, ein Stück Abfall auf dem Grund des Flusses.
    Sie schaltete die Armbänder aus, hielt sich weiter am Baumstamm fest und steuerte paddelnd das Ufer an.
    ***
    Das Flussufer war glitschig und verschlammt, der Boden vom Regen und dem angeschwollenen Fluss aufgeweicht. Tally watete in einer Bachmündung an Land und musste sich dabei im hüfttiefen Wasser durch Zweige und Schilfrohr kämpfen. Offenbar hatte der Fluss alles Treibgut gesammelt und genau hier an dieser Stelle entsorgt.
    Inklusive Tally Youngblood.
    Sie stolperte das Ufer hoch, verzweifelt bemüht trockenen Boden zu erreichen, jeder Instinkt sagte ihr, dass sie sich von dem reißenden Wasser entfernen musste. Ihr erschöpfter Körper schien mit Blei gefüllt zu sein und Tally rutschte den Hang hinunter. Schlammbedeckt gab sie schließlich auf, kauerte sich auf dem Matschboden zusammen und zitterte in der eisigen Kälte. Tally konnte sich nicht daran erinnern, seit der Operation jemals so müde gewesen zu sein, der Fluss schien ihrem Körper jegliche Kraft ausgesogen zu haben.
    Sie zog den Feuerzünder aus dem Rucksack und schob mit zitternden Fingern ein Häufchen Reisig zusammen. Aber das Holz war nach drei Tagen Regen so nass, dass die winzige Flamme ihm nur ein müdes Zischen entlocken konnte. Immerhin funktionierte ihre Jacke noch. Sie drehte die Heizung darin voll auf, ohne an die Batterien zu denken, und rollte sich zu einer Kugel zusammen.
    Tally wartete auf den Schlaf, aber ihr Körper hörte nicht auf zu zittern, wie bei einem Fieber in ihren Ugly-Tagen. Neue Pretties wurden fast nie krank, aber vielleicht hatte sie sich im letzten Monat zu sehr geschwächt - sie hatte fast nichts gegessen, war immer draußen in der Kälte gewesen, hatte sich mit Adrenalin und Kaffee auf den Beinen gehalten und es gab fast keine Stunde während der letzten vierundzwanzig, in der sie nicht kalt und nass gewesen war.
    Oder setzte bei ihr nun endlich dieselbe Wirkung des Heilmittels ein wie bei Zane? Griff die Pille ihr Gehirn an, jetzt, da sie keinerlei Hoffnung auf medizinische Behandlung hatte?
    Tally Kopf dröhnte und fiebrige Gedanken wirbelten durch ihr Gehirn. Sie hatte kein Hubbrett, keine Möglichkeit, die Ruinenstadt zu erreichen, außer zu Fuß. Niemand wusste, wo sie war. Auf der Welt gab es nur noch die Wildnis, die eisige Kälte und Tally Youngblood. Sogar das Fehlen der Manschette an ihrem Handgelenk kam ihr seltsam vor, wie die Lücke, die ein fehlender Zahn hinterlässt.
    Am schlimmsten war, dass Zanes Körper nicht neben ihr lag. Sie hatte im vergangenen Monat jede Nacht und fast den ganzen Tag mit ihm verbracht. Sogar in ihrem erzwunge nen Schweigen hatte sie sich an seine dauernde Anwesenheit gewöhnt, an seine vertraute Berührung, an ihre wortlosen Gespräche. Plötzlich war er nicht mehr da und Tally hatte das Gefühl, beim Absturz einen Teil ihrer selbst verloren zu haben.
    Sie hatte sich diesen Moment tausendmal ausgemalt, wie sie endlich die Wildnis erreichte, endlich von der Stadt befreit. Aber kein einziges Mal hatte sie sich vorgestellt, ohne Zane hier zu sein.
    Und doch war sie hier, ganz und gar allein.
    Tally lag lange wach und spielte in Gedanken die letzten von Panik erfüllten Minuten im Ballon durch. Wenn sie nur früher gesprungen wäre oder wenn sie daran gedacht hätte, nach unten zu schauen, ehe das Stadtgitter verschwunden war. Nach Zanes letzten Worten hätte sie nicht zögern dürfen, denn sie hatte doch gewusst, dass diese Flucht ihre einzige Chance war, gemeinsam die Freiheit zu erringen.
    Wieder war alles

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