Pretty - Erkenne dein Gesicht
konnten ihr kaum in die großen, kupfergesprenkelten Augen schauen, sie konnten den Anblick ihrer Schönheit fast nicht ertragen.
Götter, hatte er gesagt. Das alte Rusty-Wort für die unsichtbaren Superhelden im Himmel.
Das hier draußen war ihre Welt - diese grobe grausame Wildnis mit ihren Seuchen und ihrer Brutalität und dem tierischen Kampf ums Überleben. Wie diese Menschen, so war diese Welt hässlich. Wer hier draußen hübsch war, musste aus einer anderen Welt stammen.
Hier draußen war Tally eine Gottheit.
Jung-Blut
Sie brauchten ungefähr eine Stunde, um das Lager der Jäger zu erreichen. Mit erloschenen Fackeln wanderten sie über stockdunkle Wege und wateten durch eiskalte Bäche. Niemand sagte auch nur ein Wort.
Tallys Führer zeigten eine seltsame Mischung aus Primitivität und Geschicklichkeit. Sie waren klein und langsam, einige sogar entstellt, sie trotteten dahin, indem sie ihr gesamtes Gewicht auf ein Bein verlagerten. Sie rochen, als ob sie niemals badeten, und ihre Füße unter den armseligen Fußlappen waren von Narben bedeckt. Aber sie kannten den Wald und sie bewegten sich anmutig durch das dichte Unterholz und führten Tally mit untrüglicher Sicherheit durch die Dunkelheit. Die Jäger benutzten keine Positionsfmder und blieben auch nicht stehen, um sich an den Sternen zu orientieren.
Tallys Verdacht vom Vortag erwies sich als zutreffend. Die Hügel waren von Pfaden durchzogen, die von Menschen stammten. Die Wege, die Tally bei Tageslicht nur erahnt hatte, schienen sich jetzt in der Dunkelheit wie durch Zauberhand zu öffnen, und der alte Mann, der sie führte, nahm, ohne zu zögern, Abkürzungen. Die Gruppe ging in einer langen Reihe und machte nicht mehr Lärm als eine Schlange zwischen Blättern.
Die Jäger hatten offenbar Feinde. Nach dem lärmenden Angriff zuvor hätte Tally nicht geglaubt, dass sie leise oder raffiniert vorgehen könnten. Aber jetzt verständigten sie sich innerhalb der Reihe mit Hilfe von klickenden Geräuschen und vogelähnlichem Pfeifen, nicht durch Wörter. Sie wirkten überrascht, wann immer Tally über eine unsichtbare Wurzel oder Schlingpflanze stolperte, und nervös, wenn sie dann in Verwünschungen ausbrach. Sie mochten es nicht, unbewaffnet zu sein, das ging Tally jetzt auf. Vielleicht bereuten sie, beim ersten Anzeichen von Tallys Missvergnügen gleich ihre Keulen zerstört zu haben.
Pech gehabt, dachte Tally. Egal wie freundlich die Jäger sie jetzt behandelten, sie war doch froh darüber, dass sie die Keulen nicht mehr hatten, sie konnten sich die Sache ja wieder anders überlegen. Denn wenn Tally nicht ins Wasser gefallen wäre und sich dabei Schlamm und Dreck aus ihrem hübschen Gesicht gespült hätte, dann wäre sie jetzt wohl nicht mehr am Leben.
Wer immer die Feinde der Jäger sein mochten, der Hass war groß.
***
Tally roch das Dorf schon, ehe sie dort eintreffen. Unglücklich rümpfte sie die Nase.
Es war nicht nur der Geruch von Holzrauch oder der unangenehme Gestank geschlachteter Tiere, den sie aus Smoke kannte, wo Kaninchen und Geflügel für die Essensversorgung getötet worden waren. Der Gestank am Rand der Jägersiedlung war viel schlimmer, er erinnerte Tally an die Latrinen, die dieSmokies unter freiem Himmel angelegt hatten. Das war ein Aspekt des Lagerlebens, an den sie sich nie hatte gewöhnen können. Glücklicherweise verflog der Geruch, als das Dorf in Sicht kam.
Das Lager war nicht groß - ein Dutzend Hütten aus Lehm und Rohrgeflecht, an denen ein paar schlafende Ziegen fest gebunden waren, einige Gemüsebeete, die im Sternenlicht verworrene Schatten warfen. Mitten im Dorf stand ein Lager haus, andere größere Häuser konnte Tally nicht sehen.
An den Dorfgrenzen brannten Feuer und bewaffnete Männer hielten Wache. Jetzt, wo sie zu Hause waren, fühlten die Jäger sich sicher genug, um ihre Stimmen wieder zu erheben, und sie verkündeten die Nachricht, dass sie ... Besuch mitgebracht hatten.
Menschen strömten aus den Hütten und das Stimmengewirr wurde lauter, als das Dorf nach und nach erwachte. Tally fand sich im Mittelpunkt einer wachsenden Gruppe aus neugieri gen Gesichtern wieder. Ein Kreis schloss sich um sie, aber die erwachsenen Dorfbewohner kamen ihr nicht zu nahe, das Kraftfeld von Tallys Schönheit schien sie auf Abstand zu hal ten. Sie wandten die ganze Zeit ihre Augen ab.
Die Winzlinge zeigten da schon mehr Mut. Einige trauten sich sogar, Tally zu berühren, sprangen vor, um ganz schnell ihre
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