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Price, Richard

Price, Richard

Titel: Price, Richard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clockers
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Wartezimmer,
knochenfarbene Wände, ein Durcheinander von orangefarbenen Plastikstühlen, die
Luft dick von abgestandenem Zigarettenrauch. In einer torpedoförmigen Sandurne
aus Chrom spross ein Stoppelacker von Kippen, einige davon mit
Lippenstiftflecken, und der Anblick drehte Strike den Magen um.
    »Ich werd
dich holen, wenn er frei ist.« Der Beamte amüsierte sich über seinen unbeabsichtigten
Witz. Er zog eine Augenbraue hoch und fragte dann: »Wer ist dieser
Bursche überhaupt, der ehemalige Bürgermeister?«, schloss die Tür hinter sich
und ließ Strike allein zurück.
    Die Wände
des Wartezimmers waren mit schwarzweißen Warnplakaten behängt; die Themen
reichten von Aids und Schwangerschaft bis zu Crack und Alkohol, jedes einzelne
Poster ein Meisterwerk des Grauens. Strike hasste Plakate. Wenn man arm war,
dann verfolgten einen die Plakate auf Schritt und Tritt - in Krankenhäusern, Bewährungshelferbüros,
Hausverwaltungsbüros, Tageskrippen, Sozialämtern -, und sie brüllten einen
andauernd an mit Warnungen, dies zu tun, jenes nicht zu tun, so zu sein, so
nicht zu sein, klug zu werden, dieses zu kontrollieren, jenes zu unterlassen.
    Strike
fragte sich, ob die Tür dieses grellen Zimmers abgesperrt war. Er geriet ein
wenig in Panik und dachte darüber nach, zur selben Zeit hier zu sein wie seine
Mutter, fragte sich, ob sie gleich im Flur aufeinandertreffen würden, fragte
sich, ob sie wusste, was geschehen war, dass er hinter all dem Elend steckte.
Strike hatte Angst, dass er vielleicht völlig durchdrehen würde, wenn sie ihn
mit ihren Augen fixierte, dass er ein spontanes Geständnis herausplappern und
das ganze Kartenhaus zum Einsturz bringen würde - alle wären dann in diesem
Gefängnis hinter ihm her, alles wäre möglich.
    Er lief
auf und ab, versuchte, keines der Plakate anzuschauen, hatte das Gefühl, als
müsse er sich gleich von dem schweren kalten Gestank nach Zigaretten übergeben, und er musste auf der
Stelle aus diesem Zimmer raus, aber er traute sich nicht, einen der
Wachhabenden zu fragen, ob er gehen dürfe, weil er Angst hatte, dass seine
Schuld derart offensichtlich war, dass er es niemals bis zum Aufzug schaffen,
niemals mehr das Tageslicht sehen würde.

Die Tür ging auf, und die Lady mit dem heulenden Baby
trat ein. Der Beamte steckte seinen Kopf herein. »Wir haben ihm gesagt, dass du
hier draußen bist. Wird nicht mehr lange dauern.« Er warf Strike einen langen
Blick aus zusammengekniffenen Augen zu. »Bist du okay?«
    »Ja, hmm-hmm«, sagte Strike und wandte sein Gesicht ab,
um nicht durchschaut zu werden.
    Das Baby war jetzt still und lag im Schoß seiner
Mutter. Die Frau war spanischer Herkunft, ihr Haar war entlang den Schläfen
militärisch kurz geschnitten, wuchs aber auf dem Kopf spitz und hennagefärbt
in die Höhe, und am ansonsten kahlen Nackenansatz trug sie einen dünnen langen
Zopf.
    Die Frau, die sich auf einen der orangefarbenen Stühle
setzte, öffnete dem Baby die Windel, zog sie unter dem Baby hervor und rollte
sie zu einer Kugel zusammen. Sie drehte sich um und warf sie auf die Kippen in
der Sandurne. Die offenstehenden Klebeecken waren voller Sand, und die Windel
entfaltete sich langsam, öffnete sich wie die Faust eines toten Mannes. Doch es
war nicht die Scheiße, die er widerlich fand: Es war das Plastik, das weiße
Plastik, das sich auf dem Sand entrollte.
    Strike ging zur Tür, die doch nicht abgesperrt war. Er
ging auf Zehenspitzen in den Verbindungsgang und versuchte, die Aufmerksamkeit
des Wachhabenden auf sich zu lenken, ohne Alarm auszulösen.
    »Yo, entschuldigen Sie. Ich mu-muss gehen.«
    »Gehen, wohin?«
    »Raus ... ich kann ihn je-jetzt nicht besuchen«,
flüsterte Strike und warf einen verstohlenen Blick auf
den Hinterkopf seiner Mutter. Victors Blick irrte über die Trennwand, und
Strike hatte eine kurze Vision, dass sie beide bis zu ihrem Tode hier drinnen
eingesperrt sein würden.
    »Er wird
in zwei Minuten frei sein.«
    »Ich bin krank ...«
Strike legte sich eine Hand auf den Bauch, in dem ein heißer Wirbel verdreckten
Sandes tobte.
    Der
Fahrstuhl öffnete sich, um eine weitere Gruppe von Frauen auszuspucken.
    Der
wachhabende Offizier trat zurück und betrachtete ihn von oben bis unten. »Du
bist den ganzen Weg hierhergekommen, und jetzt willst du ihn nicht mehr
besuchen?«
    Strike
beäugte den leeren Fahrstuhl, wandte sich dann wieder mit flehendem Blick an
den Beamten.
    Der Beamte
griff nach dem Ellbogen der ersten Frau in der

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