Price, Richard
atmete tief ein. Jimmy hatte jetzt den Kopf gesenkt und beäugte
die Tischdecke.
»Und jetzt
überleg mal. Er war an dem Abend zum
ersten Mal in der Bar, ohne je zuvor dort gewesen zu sein. Und er ist vor der Schießerei
weg, stocknüchtern, also, ich bitte dich. Und, und, und. Dann hab ich mir die
Akte von dem Burschen angesehen, und was finde ich - einen Fall von
vorsätzlicher Körperverletzung. Ich meine, ich weiß noch nicht, wem dieser
Darryl ans Bein gepinkelt hat, aber meiner Meinung nach handelt es sich dabei
um Rodney Little. Vielleicht hat er Gewinne abgeschöpft oder Stoff geklaut,
vielleicht war es auch nicht Rodney, sondern Champ, vielleicht war es eine
Gebietsfrage, weil Champ doch hier in der Gegend den Stoff kontrolliert, soweit
ich weiß, und vielleicht arbeitete der Junge auf Champs Boden auf eigene
Rechnung, ich weiß nicht, vielleicht hat Champ sich diesen Strike geholt,
damit er seinen alten Kumpel aus Rodneys Laden erledigt. Und bei all diesem
vagen Scheiß ende ich damit, einen sauberen Burschen zu verhaften, der
versucht, mir diese an den Haaren herbeigezogene Notwehrgeschichte zu
verkaufen. Ich meine, was geht hier vor?«
Jimmy
entblößte seine Zähne. »Von all diesen Aspekten habe ich noch nichts gehört,
Rocco«, sagte er zurückhaltend. »Du willst mich über den Tisch ziehen.«
Rocco
überhörte die Bemerkung. »Also, okay, wieso hat sich dieser Victor freiwillig
gestellt? Tja, keine Ahnung. Vielleicht beschützt er seinen Bruder. Er hat kein
nennenswertes Strafregister, er geht in die Kirche, arbeitet hart, vielleicht
glaubt er, er würde mit einer geringeren Strafe davonkommen. Ich mein, als ich
den Burschen befragt hab, da hörte er sich an, als hätte er 'nen schweren
Anfall von Sparfimmel, in meinen Ohren klang er wie jemand, der fünf Cent
hasst, weil sie keine zehn Cent sind, also, ich weiß nicht, vielleicht hat ihm
sein Bruder 'nen Haufen Geld versprochen, wenn er die Zeit für ihn absitzt.
Vielleicht hat sein Bruder auch was gegen ihn in der Hand, vielleicht hat er
ihm gedroht, du weißt schon, seine Familie bedroht, ihn dazu gezwungen ...
Keine Ahnung, aber ich weiß genau, dass wir hier den falschen Bruder mit der
richtigen Waffe haben. Ich mein, angesichts all dessen, was ich dir erzählt
habe, was würdest du denn da glauben?«
»Was ich glauben
würde?« Jimmy winkte nach einem weiteren Gibson und brach eine Knabberstange
entzwei. »Ich glaube, in meiner Branche ist es sehr gefährlich, etwas zu
glauben oder nicht zu glauben, das glaube
ich.«
»Okay, gut
gesagt, aber schau, ich kann nicht aus meiner Haut, verstehst du?« Rocco wandte
sich an die Kellnerin. »Bringen Sie mir bitte eine Weinschorle? Nein, geben Sie
mir einen Weißwein mit Eis.«
Jimmy
fegte geistesabwesend die Krümel vom Tisch. »Hör mal, Rocco, du dürftest
darüber nicht mal mit mir reden. Ich meine, ich kann alles, was du gerade zu
mir gesagt hast, dazu verwenden, deinen Fall vor Gericht durchrasseln zu
lassen, richtig?«
»He,
glaubst du, ich weiß das nicht?« Rocco reckte seinen Hals. »Ich will dich mal
was fragen, Jimmy. Du kennst mich seit fünfundzwanzig Jahren, richtig? Bin ich
jemals mit so einer Sache zu dir gekommen? Ich weiß, dass ich die Wahrheit
sage, und das ist der Grund, warum ich hier bin. Zwanzig Jahre Ärger mit diesen
Typen sagen mir, dass es die Wahrheit ist. Glaubst du, ich würde wie ein
Arschloch hier sitzen, wenn das nicht so wäre? Ist mir doch scheißegal, ob das
als gelöster oder ungelöster Fall durchgeht, ich hab mehr Geständnisse gekriegt
als irgendein anderer beschissener Detective in diesem County. Ich muss nicht
gewinnen, ist doch scheißegal. Ich mach mir nur Gedanken darüber, was hier
eigentlich läuft. Ich meine, wann begegne ich schon mal einem wirklich
unschuldigen Mann? Das ist wie ein Stein im Schuh.«
Rocco, der sich nicht sicher war, wen er jetzt
überzeugen wollte, musste sich zwingen, den Blickkontakt mit Jimmy
aufrechtzuerhalten. Tatsache war, dass er überhaupt nicht daran gedacht hatte,
auf welches Glatteis er sich hier begab.
Die Kellnerin kam, und beide bestellten sie blind
irgendein Nudelgericht. Roccos Wein schmeckte wie schales Sodawasser,
überhaupt nicht wie ein richtiger Drink.
Jimmy sah Rocco an. »Weißt du, ich hab schon mit deinem
Boss geredet. Er bietet mir ein gutes Geschäft an, schwerer Fall von Tötung,
zwanzig Jahre, ein Drittel abzusitzen, das ist ziemlich gut.«
»Natürlich bietet er dir ein gutes Geschäft
an,
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