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Price, Richard

Price, Richard

Titel: Price, Richard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clockers
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in die
Ewigkeit.
    Der
Fahrstuhl blieb mit einem Ruck auf der zweiten Etage stehen. Die Tür glitt auf,
und Rocco sah sich einer Gruppe von Leuten gegenüber, die unter einer nackten
Glühbirne über die verrückte Stimme in der Gegensprechanlage diskutierten.
    Rocco
stieg aus. Als sich alle zu ihm umdrehten, fragte er: »Vermisst jemand sein
Kind?«, als hätte er mit dem Ganzen überhaupt nichts zu tun.
    »Ja.« Eine
große Frau in einem Jogginganzug trat vor. »Waren Sie das?«
    »Hmm-hmm,
ja.« Rocco nickte. »Es hat also niemand ...«
    Von all
den Leuten, die sich auf dem Flur versammelt hatten, stand er am weitesten von
der Brandschutztür entfernt, die zum Treppenhaus führte, und er wunderte sich,
dass er der Einzige zu sein schien, der das leise Jammern seiner Tochter hörte.
Es hörte sich an, als stünde sie direkt hinter der gottverdammten Tür.
    »Hört ihr
sie denn nicht?«, fuhr er die Leute an, während er an ihnen vorbeiging. Er
schob den schweren Riegel der Tür auf und rannte die Stufen hinauf bis zu der
Stelle, wo Erin auf dem Treppenabsatz stand und ihr Zebra und ihr Fläschchen
umklammert hielt.
    Alles, was Rocco sagen konnte, als er sie sah, war
»Oh«, als sei sie nichts weiter als ein verlegter Autoschlüssel. Seine
gelassene Haltung stand völlig im Gegensatz zu der Erleichterung und Freude,
die er empfand. Erin sah ihn kaum an, war offensichtlich zu benommen, um zu
begreifen, dass sie gefunden worden war.
    Rocco und seine Tochter fuhren nach unten und sahen
Patty auf dem Gehsteig, die aufgeregt auf ein halbes Dutzend neugieriger
Nachbarn einredete.
    »Ich hatte mich nur umgedreht, und sie ist in den
Fahrstuhl gestiegen, also bin ich zum Fahrstuhl gelaufen, und statt die Tür
mit den Händen aufzuhalten, hab ich auf den Knopf gedrückt, weil ich dachte,
wenn man den Knopf drückt, bleibt die Tür offen, verstehen Sie?«
    Rocco ging mit Erin auf dem Arm durch die Halle,
während Patty mit dem Rücken zu ihnen stand, und genoss den Augenblick, als er
mit hoher, federleichter Stimme sagte: »Mommy und Daddy sind ja da, Mommy und Daddy
sind ja da.«
    Patty war so verwirrt, dass sie ohne Unterlass
weiterredete, als sie wie abwesend die Arme ausstreckte, um Erin von Roccos Arm
zu nehmen, ihre Augen immer noch auf ihr Publikum gerichtet, die Nachbarn
seufzten vor Erleichterung, Rocco wippte auf Zehenspitzen, während Patty Erin
mit weit aufgerissenen Augen an die Brust drückte. Das Kind vergrub seinen Kopf
in der Höhlung neben dem zitternden Unterkiefer seiner Mutter, und Rocco liebte
sie beide so sehr, dass er wusste, er würde keiner Menschenseele je etwas davon
erzählen, diesen Moment nur jahrelang jede Nacht mit ins Bett nehmen und wie
einen geheimen Goldschatz hüten.
    »Okay, hör zu.« Rocco streckte seine Hand aus und ließ
sie über Erins Kopf und Pattys Arm schweben, ohne sie zu berühren. »Ich fahr
nur den Wagen weg, bevor er abgeschleppt wird ...«
     
    Strike saß in der vierten Reihe des Gerichtssaals, der
Besucherreihe, die den Angeklagten am nächsten war. Er hatte zwei Stunden lang
dort gesessen und den Fang der vergangenen Nacht einen nach dem anderen an den
Tisch des Verteidigers treten sehen. Es war eine Kavalkade von gebrochenen
Männern, von Verrückten, meist Drogenbesitz und sittenwidriges Verhalten, ein
paar Einbrüche, ein oder zwei Straßenräuber, ein Paar barfuß, ein Paar blutverschmiert,
einer kam in Unterhosen herein, und alle lachten darüber. Sie paradierten in
Handschellen vor dem Richter, und Strike hörte zu, wie der öffentlich
bestellte oder privat bezahlte Verteidiger automatisch auf >Nicht
schuldig< plädierte und der Vorsitzende mit flacher, monotoner Stimme über
Einkommen, Familie, Besitz, Wurzeln und kriminelle Vergangenheit sprach. Ab und
zu sprangen Mütter, Väter und erwachsene Kinder von den Bänken auf und
wedelten mit dem Geld, um die Aufmerksamkeit eines Gerichtsdieners auf sich zu
ziehen, obwohl die Kaution nur bei der Gerichtskasse bezahlt werden konnte.
    Kurz vor eins war Rodney an der Reihe und stand neben
seinem Pflichtverteidiger, ohne ihn auch nur eines Blickes zu würdigen. Strike
beobachtete ihn aufmerksam, versuchte an Rodneys Gesicht abzulesen, wie groß
seine Wut war, und kam zu dem Schluss, dass er verhältnismäßig entspannt
aussah, wenn man es recht bedachte. Auch Rodneys Verteidiger plädierte auf
>Nicht schuldig<, als der Richter die Kaution von fünftausend Dollar auf
die Zehn-Prozent-Alternative reduzierte, flüsterte

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