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Prickel

Prickel

Titel: Prickel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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nachsehen. Ganz hinten, im letzten Schuppen, rechts an der Wand. Mit den Reifen ist schlecht, heute, ganz schlecht. Wir räumen gerade das Reifenlager um, obendrein haben sich zwei Leute krankgemeldet - da mußt du morgen noch mal wiederkommen. Und was den Auspuff angeht: Ich hab vorne auf dem Platz noch ein ähnliches Modell stehen. Müßtest du eben selber abschrauben.«
    Der Auspuff, entschied ich, hatte noch ein paar Tage Zeit. Heiner sprang wieder auf seinen Stapler, und ich ging nach hinten, die Scheiben durchforsten. Und Tatsache! Carina '77 stand auf dem Klebeband.
    »Wieviel?« fragte ich. Heiner winkte nur ab.
    »Meinst du, einer deiner Jungs kann sie mir eben einsetzen?«
    Mit geplagter Miene hob er bedauernd die Hände zum Himmel. »Ich hab echt keinen Mann frei, im Moment. Aber frag doch Rudi. Der hat gleich Feierabend.«
    >Frag doch Rudi< war unter Stammkunden bei Sültenfuss im Laufe der Jahre zu einer Art Treppenwitz geworden. >Frag doch Rudi< hieß soviel wie >Vergiß es<. Trotzdem, mir war schon mal beim Montieren eine flatschneue Scheibe unter den Händen zerbröselt, und Rudi war, hatte man ihn einmal soweit, ein recht fixer Schrauber.
    »Rudi«, sagte ich zu ihm, »diese schöne Scheibe hat mir dein Boß geschenkt. Und ich schenk dir 'n Zwanni, wenn du so reizend wärest, sie mir mal eben einzuziehen.«
    »Mal eben«, sagte Rudi und schnaubte durch die Nase.
    »Nur mal eben. Das hör ich hier von morgens bis abends.«
    »Fünfundzwanzig.«
    »Dreißig.«
    »Gut.«
    Während Rudi mit Hilfe eines krummgebogenen Küchenmessers mal eben meine neue Heckscheibe einzog, grinste er mich hämisch an und fragte: »Na, und, schon Erfolg gehabt bei deiner Suche?«
    »Ich bin nah dran«, log ich.
    »Soll ich dir sagen, was ich denke, wer die Motoren hat?« Ich nickte, wenn auch zögernd, und er fing an. Kein Autoverwerter, kein Autoschrauber, kein Autohändler in ganz Ruhr City war nach seiner Schilderung frei von Verdacht. Er betete mir praktisch die Gelben Seiten vor. Den Teil mit >Au<.
    »Wenn du mich fragst, sind das alles Verbrecher«, schloß er und gab der Gummidichtung einen letzten Klaps.
    »Rudi«, sagte ich zu ihm und ließ mich auf den Fahrersitz fallen, »du und ich und Heiner Sültenfuss, denke ich oft, wir sind die letzten ehrlichen Menschen auf der Welt.«
    Er grinste verkniffen. »Für zwei von den dreien könnte ich das sogar unterschreiben«, meinte er.
    »Na, Rudi«, sagte ich und startete, »warum so bescheiden?«
    Ich fuhr heim. Nahm von unterwegs eine Pizza mit, zwei Flaschen Bier, Zigaretten und eine Dose Katzenfutter.
    Sobald ich den Motor abgestellt hatte, konnte ich die Katze janken hören. Sie hat den nervtötendsten, schrägsten Sopran unter allen Lebewesen dieser Erde. Eine Stimme wie Zahnweh. Kaum war ich ausgestiegen, kam sie auch schon den Hang vor dem Haus heruntergehoppelt und ließ nichts unversucht, mich auf dem kurzen Stück bis zur Haustüre der Länge nach zu Fall zu bringen. Ich schimpfte ein bißchen mit ihr, wie man das so macht.
    Oben füllte ich ihr den Napf, poppte ein Bier auf und begann, lustlos an meiner Pizza zu kauen. Sie schmeckte nicht. Wie sollte sie auch. Die beste Pizza der Welt hätte sich schwergetan gegen den bitteren Beigeschmack, den mir die letzten 24 Stunden auf die Zunge gelegt hatten.
    Das Bier schmeckte nicht. Die Zigarette schmeckte nicht. Manchmal, in tristen Momenten wie diesen, stelle ich mir so immer mein Alter vor: Kalte Pizza, schales Bier, fader Rauch; am Rande der Debilität angesiedelte Monologe mit der Katze.
    Mir juckte das Fell. Nicht bildlich gesprochen, sondern wörtlich gemeint. Mir juckte das Fell, hinten, streifenweise. Ich schubbelte mich ein bißchen an der Rückenlehne des Stuhls und dachte nach. Im nächsten Augenblick krempelte ich meine sämtlichen Taschen auf links. Doch Zoras Nummer fand sich leider nicht. Ich hatte sie, wie es aussah, wohl verbaselt.
    Mist. Ein weiterer Dämpfer.
    Unten hörte ich Bernhard die Kneipe aufschließen.
    Kurz entschlossen kippte ich das restliche Bier in den Ausguß, stellte die leere Flasche zu der Hundertschaft ihrer Artgenossen unter der Spüle und setzte Kaffeewasser auf. Ich hatte zwei Fälle zu bearbeiten, von denen mir der eine zumindest einen flotten Sommer bescheren könnte. Trübsinnig am Tresen hocken konnte ich anschließend noch den ganzen Herbst.
    Meine Unterlagen hatte ich vorhin mit hochgebracht. Etwas war mir noch nicht klar. Konnte es auch nicht sein: Der Autopsiebericht

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