Prickel
lassen. Jetzt, Stunden später, herrschte die dumpfe, brütende Atmosphäre absoluter, vollkommen freudloser Zugedröhntheit. Trotzdem, einmal drin, nahm ich ein Bier, fragte nach Paule und sah mich um. Fünf Minuten später war ich wieder draußen. Sobald ich diese Nachforschungen erst einmal hinter mir hatte, würde ich das Trinken für immer drangeben. Das schwor ich mir.
In Essen wurde es nicht viel besser. Ich drückte mich in einem Spielsalon herum, zwei oder drei weiteren bleiverglasten Dämmerschuppen mit Schlagerbeschallung, einem schulterhoch weißgekachelten Bierlokal mit dem Charme einer Bedürfnisanstalt, einem Stehimbiß, wo es grüngelbe Frikadellen und nur lauwarmes Flaschenbier gab, und verschnaufte schließlich in einem Billardsalon mit Blutspritzern an der Wand.
Irgendeine fürchterliche Schnulze hatte sich in meinem Kopf festgesetzt und hinderte mich am klaren Denken. Ein Zuviel an unfreiwillig konsumiertem Bier unterstützte sie dabei.
Oh ja, ich war mit der Szene verschmolzen. Gründlich. Wie von Anfang an befürchtet, hatte sich auch meine Stimmung mitverschmolzen. Ebenfalls gründlich. Und was hatte ich bisher erreicht? Ich hatte zwei Paule gefunden. Und auch noch beidesmal die Falschen.
Das einzige, was mich am Aufgeben hinderte, war die zweite Schiene, auf die ich meine Nachforschungen in der letzten Stunde oder so ausgedehnt hatte. Mir war in den Sinn gekommen, daß Det, wenn ich Walter Vogels Wiedergabe von Prickels Erzählungen glauben konnte, sowas wie ein fanatisches Kampfschwein war, das keiner Schlägerei aus dem Weg ging und offenbar so gut wie nie verlor. Ich hatte also angefangen, Männer mit frischen Blessuren zu interviewen. Das war allemal unterhaltsamer gewesen, als in ein weiteres Paar trüber Augen zu blicken und eventuell noch einen Paule aufzutreiben.
Einer, mit einem Verband um den Kopf, war fremdgegangen, mit der Nachbarin. Seine Gattin, vermutete er, muß wohl irgendwie dahintergekommen sein. Auf alle Fälle hatte sie ihm gewaltig eins mit der Zaunlatte übergebraten.
Zwei, die ich nacheinander ansprach, konnten sich an überhaupt nichts erinnern, was ja nun keine große Hilfe für mich darstellte.
Ein anderer, den eine fürchterliche, buntschillernde Prellung auf Stirn und Schläfe zierte, erzählte mir, er sei gestern Nacht >unglücklich ausgerutscht< und deshalb mit dem Kopf >ganz blöde auf das Pißbecken geschlagen<.
Obwohl das alles nicht die Antworten waren, die ich mir erhoffte, hatten sie doch einen nicht von der Hand zu weisenden Unterhaltungswert. Und so griff ich mir dann auch fast automatisch ein Queue, als der große Typ mit dem Veilchen, der frisch genähten Augenbraue und dem verpflasterten Ohr zur Türe reinkam. Ich warf ein paar Markstücke auf den nächsten freien Tisch und fragte ihn: »Spielchen?«
Er nickte ruhig und bedächtig und brummte: »Aber immer.«
Ich erwachte noch vor dem Wecker, getrieben von einem Gefühl absoluter Dringlichkeit. Und ich spreche hier nicht von meiner Blase. Oder nicht nur. Sicher, ich erwachte auch mit einem fußballharten Unterbauch, einem quadratischen Trumm von einem Schädel und einem Geschmack auf der Zunge, als habe sie sich jemand über Nacht ausgeliehen und eine Leiche damit gewaschen, doch das war in dem Augenblick alles nebensächlich. Völlig nebensächlich. Was zählte, und was mich geweckt hatte, war ein Gefühl absoluter ... Dringlichkeit. Einer neuen Gewißheit. Der alarmierenden Gewißheit, sofort etwas unternehmen zu müssen.
Ich setzte mich auf, noch völlig benebelt. Kaum zehn Liter mieses Bier und vierzig Camel ohne, und schon komm ich morgens nicht mehr richtig bei. Was, zum Deibel, war so dringend?
Ich stand auf, geplagt von mildem Schwindel. Die Katze hob die Stimme, um sich an meinen Kopfschmerzen zu weiden. Dieses sadistische Aas. Mit knapper Not schaffte ich es, ihr die Badezimmertüre vor der Nase zuzumachen. Aah, Ruhe!
Ohne viel davon mitzubekommen, erledigte ich meine morgendlichen Verrichtungen in, anzunehmenderweise, so ziemlich der üblichen Reihenfolge. Derweil wrang ich mein Gedächtnis. Was, zum Deibel .? Unter der Dusche machte es dann plötzlich boff!, und alles war wieder da, alles auf einmal.
Ich hatte gestern abend jemandem getroffen, der Det begegnet war! Und, Boy, was war der dem begegnet! Vier Runden Billard habe ich gegen ihn verloren, was sich in vier Halben Bier niedergeschlagen hatte, und während wir so die Kugeln schoben und die Humpen hoben, hat er mir
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