Prickel
man gemeinhin eine Sisyphus-Aufgabe nennt.
Ich ließ den Wagen stehen und nahm den Bus in die Stadt. Am Bahnhof stieg ich aus. Kaufte mir Zigaretten. Steckte mir eine an, wappnete mich innerlich für den zu erwartenden Trübsinn und zog die Türe zur Bahnhofskneipe auf.
Qualm und der Dunst ausgeschwitzten und ausgeatmeten Alkohols mischte sich mit dem speziellen Aroma einer Küche, deren Leckereien entweder mit der Mikrowelle, der Friteuse oder aus diversen Plastikeimern gezaubert werden.
An zwei Tischen saßen unbehaglich dreinblickende Reisende, die ihr bestes taten, die Szenerie an der von zwei Reihen mehr oder minder stark angesoffenen Stammpublikums umlagerten Theke zu ignorieren. Roland Kaiser schmachtete um einiges zu laut aus der Musikbox und rundete die Idylle ab.
Gemächlich, wie auf der Suche nach einem freien Plätzchen, schlenderte ich den Tresen entlang und besah mir die Köppe.
Ich suchte einen nicht sehr großen Mann Ende zwanzig, der auf den Namen >Det< hörte. Doch das sollte keiner merken.
Ich hab mal einen Bekannten im Allkauf getroffen, dem ich Wochen vorher ein paar CDs geliehen hatte, die er seitdem schon wochenlang im Auto spazierenfuhr. Er meinte, ich solle sie mir doch eben einfach aus dem Wagen holen, drückte mir den Schlüssel in die Hand und sagte: »Wenn du rauskommst, rechts, der rote Golf.«
Der rote Golf. Ja. Auf dem Allkauf-Parkplatz, an einem Samstagmorgen.
Ganz ähnlich, fiel mir auf, ergeht es einem, wenn man anfängt, nach einem mittelgroßen männlichen Endzwanziger zu fahnden: Auf einmal gibt es eine Unmenge davon. Überall.
Will man >mit der Szene verschmelzen<, wie Walter Vogel es ausgedrückt hatte, muß man sich anpassen. Fast noch wichtiger als die richtige Kleidung ist dabei die entsprechende Körperhaltung. Bewegst du dich, nur mal zum Beispiel, unter Bodybuildern, mußt du Brust und Kinn rausstrecken, die Ellenbogen etwas abspreizen und dich leicht in den Hüften wiegen, wie ein Seemann in einem Stummfilm. Kontrolliere deine Erscheinung mit kritischer Selbstgefälligkeit in jedem Spiegel, jedem Schaufenster.
Anders im Milieu der Säufer auf Talfahrt. Hier heißt es, die Ellenbogen eng an den Körper und den Kopf zwischen die Schultern zu ziehen. Ganz so, als hätte das Leben dich bisher in erster Linie mit Nackenschlägen verwöhnt. Dann schlurf ein wenig mit den Füßen beim Laufen, wie einer, der sich die meisten Stunden des Tages seines Gleichgewichts nicht mehr sicher genug ist, um die Füße wirklich hoch in die Luft zu heben. Schließlich rauche, saufe, sprich ab und zu ein bißchen mit dir selbst. Willst du die Augenfarbe eines Teiles der Anwesenden kontrollieren, ohne daß es sonderlich auffällt, tu so, als ob du jemanden suchst.
»Paule schon hiergewesen?« fragte ich den ersten von zirka vier Dutzend etwas kleinerer und etwas jüngerer Männer als mir selbst an diesem Abend, legte ihm kumpelhaft die Hand auf die Schulter und sah ihm fragend in die Augen. Glasige Iriden schwammen in einer Art senffarbener Marinade. Gut, sie waren blau, doch wirkten sie auf mich ungefähr genauso stechend wie die unteren Enden zweier Abfluß-Pümpel. Außerdem wußte er nichts von einem Paule. Ich sagte »Macht nichts«, ließ noch ein Pils kommen und schlurfte weiter, zum Nächsten.
Ungefähr eine halbe Stunde und drei oder vier Pils später war ich mit dem Bahnhof durch. Kein Det, und glücklicherweise auch kein Paule. Der käme normalerweise erst später, hatte mir einer verraten. Ich trat raus in die abendliche Schwüle. Am Horizont zogen ein paar Wolken auf. Vielleicht würde es ja endlich mal gewittern, endlich mal wieder regnen.
Eine Suche wie diese kann man unmöglich mit System durchführen. Nicht allein, nicht mit einer so vagen Beschreibung. Man muß sich von seinem Instinkt und dem Zufall leiten lassen.
Wie in wahrscheinlich jeder Stadt dieser Größenordnung gibt es auch im näheren Umkreis des Mülheimer Bahnhofs vielleicht ein Dutzend Kneipen, in denen sich hauptsächlich Männer treffen, deren Lebenszweck sich im Groben auf das Herunterwürgen alkoholhaltiger Getränke reduziert hat. Eine noch, dachte ich mir, und dann fahren wir mal nach Essen.
>Bei Klaus Warum nicht. Ein Pappschild im Fenster versprach eine tägliche, vierstündige Happy-Hour von 13 bis 17 Uhr, während der es Bier und Korn zum Kampfpreis von zusammen DM 2,50 gab. Schon beim Eintreten wurde klar, daß ein Großteil der Gäste sich diese Gelegenheit nicht hatte entgehen
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