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Prickel

Prickel

Titel: Prickel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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die Theke. »Habt ihr das gesehen, Leute«, brüllte er, kaum wieder bei Atem, außer sich, »der Typ hier säuft mit dem Ohr!«
    Und mit einem Schlag war ich ein Star. So kann's geh'n im Showbusineß. Umgeben von einer Meute von Fans grinste ich mein Grinsen, lallte mein Mambo! oder Wambo!, zuckte die Achseln und zeigte mein Kleingeld herum und einer fand sich immer, der hinging und mir ein Bier holte. Dann stieß ich wahllos mit irgend jemand anderem an, nahm einen Schluck, sagte >Lodda!<, legte den Kopf auf die Schulter, kippte mir etwas Bier in den Jackenkragen, machte >Gluckgluckgluck< dazu und rülpste gehaltvoll, sobald ich damit fertig war. Es brachte sie um. Jedesmal. Als ich dann noch meinen Blouson aufzippte und mein T-Shirt von den Toten Hosen vorzeigte, war es ganz vorbei. Ich bin mir sicher, daß es ein paar von ihnen warm die Beine heruntergelaufen ist vor Lachen.
    Ach so. Hatte ich das noch nicht erwähnt? Es war das legendäre BUMSEN FICKEN BLASEN-Motiv.
    Nur jemand, der jemals die Süße des Applauses gekostet hat, wird verstehen können, daß ich tatsächlich drauf und dran war, in meiner Rolle aufzugehen und mich möglicherweise komplett vergessen und kolossal und bombig amüsiert hätte, wenn nicht die ganze Zeit über, immer so am Rande meines peripheren Sehvermögens, will heißen immer irgendwie in meinem Augenwinkel, mal ganz links, mal ganz rechts, jedoch, egal wie ich mich drehen und wenden mochte, nie vor mir, nie richtig sichtbar, nie greifbar, so ein kleiner Typ mit Sonnenbrille um mich herumgeschlichen wäre.
    Möglich, daß er mir ohne die Sonnenbrille gar nicht aufgefallen wäre. Aber es war so schon so dermaßen duster in dem Schuppen, daß man sich automatisch fragte, wie er es schaffte, durch die schwarzen Gläser überhaupt noch etwas zu erkennen.
    Mit einer Hand am Reißverschluß meiner Hose löste ich mich von meinem Publikum und, vorgebend, den Pott zu suchen, schwankte ich kreuz und quer durch die Kneipe und versuchte gleichzeitig, den Typen ins Blickfeld zu bekommen.
    Das war gar nicht einfach. Nein, in Wahrheit stellte es sich als so gut wie unmöglich heraus. Ich konnte meine übertrieben ratlos suchenden Blicke richten, wohin ich wollte, die wieselige kleine Gestalt glitt immer an den Rand, wie die Spiegeleier der Frau, die ihren Mann mit der Pfanne erschlagen hat.
    Als ich vom Klo zurückkam, sah ich ihn zufällig gerade noch durch den Ausgang schlüpfen. Sofort beeilte ich mich, hinterherzukommen.
    »Hey, Lodda!« rief mir noch einer nach, doch da war ich schon an der Türe, und im nächsten Moment stand ich draußen. Allein.
    Das war unbegreiflich. Selbst ein Weltklassesprinter hätte es in den paar Sekunden, die es mich gekostet hatte, die Kneipe zu durchqueren, nicht schaffen können, bis zu einem der beiden Tunnelausgänge links und rechts zu rennen. Und quer über die sechs Spuren tosenden Verkehrs auch nicht. Und trotzdem stand ich da allein.
    Pauschal kann man glaube ich sagen, daß zwei bis drei Liter Pils beim raschen Denken ungefähr so hilfreich sind wie eine angezogene Handbremse beim Autofahren, und so fiel mir denn in meiner ersten Verwirrung nicht viel Besseres ein, als mich ein paarmal leicht schwankend um meine Achse zu drehen und ratlos in alle Richtungen zu starren. Abgesehen von der Kneipe war nirgendwo in der Wand eine Türe eingelassen, es gab wirklich und wahrhaftig nur die beiden Auswege nach links und rechts und keine einzige Möglichkeit, sich zu verstecken, außer ...
    Außer, er hätte sich über die Leitplanke geschwungen und dahinter geduckt. Ich schluckte. Mir war wie in den bangen Momenten, bevor ich den Deckel von der Transportkiste mit der Katze nehmen muß, nicht wissend, ob sie klein und kläglich maunzend in einer Ecke hocken oder sich mir wie eine kreischende Furie mit ausgefahrenen Krallen ins Gesicht katapultieren wird.
    Ich mimte ein Würgen und beugte mich zögerlich über die dreifach überhöhte Leitplanke. Ich würde so tun, als sei mir übel, und sollte der Typ tatsächlich auf der anderen Seite hocken, mich verwirrt lallend entschuldigen.
    Vorsichtig linste ich über die Kante, blies schon mal die Backen auf, beugte mich weiter vor, mein Herz schlug wild -jeden Augenblick könnte der Kerl aufspringen und Buh!! machen oder sonstwas - doch da war niemand. Die zerfetzten Reste eines Warndreiecks lagen da, ein verbogenes Wischerblatt, sonst nichts. Unbegreiflich.
    Scheiße, dachte ich, rotzte in den Staub und trollte mich mit

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