Prickel
hindurch und schloß sie genauso wortlos wieder hinter mir. Ich hatte keine Lust mehr. Von Kopf bis Fuß voll Bier und Kotze wollte ich nur noch duschen. Und dann schlafen.
»Ja«, sagte ich zu ihr, als ich reinkam und sie sich auf mich stürzte, »ja, ja ja. Also gut: Erst duschen, dann die Katze füttern, dann schlafen. Ist das okay?«
War es natürlich nicht - wieso erst duschen? - doch ich hatte gerade erst zwei echte Kampfschweine in die Knie gezwungen und war in keiner Stimmung für Verhandlungen.
Frisch geduscht und die Katze versorgt, wollte ich noch einen langen, konzentrierten Blick auf das Ehepaar Blandette werfen, nur um feststellen zu müssen, daß ich das Foto bei Scuzzi liegengelassen hatte.
Ich watete durch knöcheltiefes, immer längere, immer dickere Fäden ziehendes Kaugummi, einen kleinen, mund-naseohrenlosen, aber sonnenbebrillten, an meine Hosenbeine geklammerten Typen auf dem Bauch hinter mir herschleifend, ächzend unter der Last von Weber und Neuhaus, die mir im Kreuz saßen und meinen Hals abschnürten, während in der Ferne, am Horizont, Veronika van Laar immer wieder demonstrativ auf ihre Armbanduhr tippte und voller Ungeduld ihr lockiges Haupt schüttelte. Als wäre das alles noch nicht genug, klingelte irgendwo ausdauernd ein Telefon.
Es war bei mir, neben dem Bett. Ich hob ab und krächzte: »Wie spät ist es?«
»Oh, verdammt«, sagte eine Stimme in mein Ohr. »Ich hab dich geweckt.« Es war eine Feststellung. Ohne eine Spur von Bedauern. »Das passiert mir öfter«, fuhr die Stimme fort. »Ich vergesse schon mal einfach die Zeit.«
Wie schön, dachte ich. Wie beneidenswert. Heftig mit den Lidern plinkernd, schaffte ich es, meine Linsen soweit von den Schlieren des Schlafes zu befreien, daß ich die Zeiger meines Weckers ausmachen konnte. Es war noch keine Vier. Der Impuls, etwas Gutturales in den Hörer zu spucken und ihn dann auf die Gabel zu donnern war nahezu unwiderstehlich.
»Doch warum ich anrufe: Ich habe das Material, das du bestellt hast.« Die Stimme sagte mir nichts, die Worte auch nicht. Vier Uhr morgens ist, seien wir mal ehrlich, einfach nicht meine Zeit. »Ich wollte es dir rüberschicken, aber so wie es aussieht, bist du praktisch an kein Netz angeschlossen und hast noch nicht einmal ein Fax.«
Ich hab noch nicht mal 'nen Anrufbeantworter, dachte ich mißmutig, der sich um solche Unzeiten mit solchen Belästigungen beschäftigen könnte.
»Jetzt ist das so, ich flieg um Sieben ab nach Seattle, ich brauche neue Teile, und die kriege ich nur da. Wenn du es also eilig hast, wäre es wahrscheinlich das Beste, du kämst jetzt gleich rüber und holst dir den Krempel, denn ich selber bin nicht vor Donnerstag zurück.«
Mir fiel auf, daß ich keine Ahnung hatte, welcher Wochentag war. Und noch weniger, wer mein Anrufer sein könnte.
»Ahm«, sagte ich, vom Fragen abgehalten durch das verunsichernde Gefühl, eben das eigentlich wissen zu müssen.
»Du weißt nicht, wer ich bin und wovon ich rede, stimmt's?«
»Nuun«, machte ich gedehnt.
»Hier spricht Alexander. Klingelt's?«
»Es surrt. So ein bißchen.«
»Alexander Len-«
»Keine Namen!« unterbrach ich ihn, plötzlich wach werdend.
Ein Seufzer. »Genannt Heckenpennes«, kam es etwas gequält aus dem Hörer.
Ich stand neben dem Bett.
»Bin unterwegs!« bellte ich.
Ich stieg geschmeidig aus dem Schlafzimmerfenster, balancierte wie auf rohen Eiern über die Dachpfannen des hinteren Anbaus, kraxelte am Fallrohr hinab in den Hof, tastete mich durch das Durcheinander aus leeren Fässern, vollen Müllsäcken und nachlässig gestapelten Getränkekisten, das sich an der Rückseite jeder Kneipe ansammelt, schnappte mir eine Palette, lehnte sie gegen den Zaun, stieg drauf, schwang mich drüber, landete wie eine Katze und schlich wie eine Katze weiter zu der nur einen knappen Meter hinter dem Bullen-Opel geparkten Carina, schmiegte mich auf Knien an ihr kühles Blech und öffnete mit angehaltenem Atem die Beifahrertüre, schlängelte mich ins Innere, zog die Türe hinter mir ach so sachte ins Schloß, rutschte geduckt rüber auf den Fahrersitz, steckte den Zündschlüssel in den Schlitz und entriegelte das Lenkrad, nahm den Gang raus, löste gefühlvoll die Bremse und steuerte den mit einem schwachen, metallischen Mahlen anrollenden Wagen erst langsam, dann immer schneller werdend rückwärts die abschüssige Straße hinab, bis wir nach Umrunden einer Biegung aus dem Blickfeld der Opel-Insassen verschwunden
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