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Prickel

Prickel

Titel: Prickel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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langsamen, etwas ziellosen Schritten, jetzt kannst du morgen wieder hier hin und den Laffel machen. Meine ganze rechte Hälfte war klatschnaß, und ich stank wie ein Ascher, den einer mit Bier gelöscht hat.
    Stadtverkehr rauscht nicht gleichmäßig daher wie ein Fluß, sondern kommt in Wellen, wie das Meer, gesteuert von Ampelphasen. Ich hatte den Tunnelausgang fast erreicht, entschlossen, heimzufahren, als in einem winzigen Moment von relativer Stille, wie er entsteht, sobald die eine Verkehrswelle fast abgerollt und die nächste noch nicht herangebraust ist, hinter mir ein leichtes Klatschen zu hören war, nein zwei. Patschatsch!, nur einen Sekundenbruchteil getrennt. Ich drehte mich um. War da, in dem dunklen Fleck, in dem Schatten einer ausgefallenen Laterne, eine Gestalt auszumachen, die sich an die Wand preßte? Oder war das Einbildung? Unsicher ging ich weiter.
    Es war spät geworden. Der Nieselregen hatte aufgehört, doch der Himmel war weiterhin sternlos und schwer, die Nacht ungemütlich kühl und dunkel. Mein Weg führte mich an einem seit Jahren leerstehenden Lagerhaus vorbei, durch eine kahle Gasse zwischen den Rückseiten von Geschäftshäusern hindurch, eine zugige, nur von einer einzigen, flackernden Neonröhre beleuchtete Treppe hoch. Es war ein in jeder Hinsicht ungemütlicher Fußmarsch, kein Deut angenehmer gemacht durch das durchdringende und doch nicht beweisbare Gefühl, die ganze Zeit über verfolgt und beobachtet zu werden.
    Was war das für ein Geräusch gewesen? Folgte mir tatsächlich jemand?
    Ging ich schnurstracks zurück zum Wagen, ohne mir darüber Gewißheit verschafft zu haben, riskierte ich meine Tarnung. Lodda war einfach kein Typ für ein Auto. Lodda war mehr ein Fall für den ÖPNV. Solange sein Mofa in Reparatur war, zumindest.
    Kurz entschlossen bog ich Richtung Bahnhof ab. Stolperte hier und da ein bißchen, sprach schon mal mit mir selbst, grinste einfältig vor mich hin, brachte alleine einhergehende Frauen mit Affengeräuschen dazu, ihre Schritte zu beschleunigen.
    Im Bahnhof nahm ich die erstbeste Rolltreppe abwärts, wartete auf die erstbeste U-Bahn, schwang mich hinein und ließ mich auf einen Sitz fallen. Und exakt als das rhythmische Fiepen das Schließen der Türen ankündigte, sprang ich wieder raus. Um dieser Entscheidung etwas Glaubhaftigkeit zu verleihen, lehnte ich mich mit einer Hand an die nächste Säule, machte einen großen Schritt zurück, spreizte die Füße und ließ den Kopf hängen: Achtung Leute, aufgepaßt, hieß das, mir kommt's gleich gewaltig. Hoch, meine ich.
    Der Zug fuhr ab. Außer mir war niemand wieder ausgestiegen. Doch ich hatte, mit hängendem Kopf, spuckend und röchelnd, aus dem Augenwinkel heraus, an der letzten Türe des abfahrenden Zuges eine höchstens mittelgroße Gestalt ausgemacht, die Hände gegen das Glas gepreßt wie ein frischgefangenes Tier. Mit Sonnenbrille auf.
    Ich hatte also recht gehabt. Versonnen sah ich dem Zug hinterher. Der kleine Bastard war mir nachgeschlichen. Mit leisen, huschenden Schritten, jeden Schatten, jede Deckung ausnutzend. Ich hatte mich mehrmals umgedreht, vorgeblich, um den vor mir flüchtenden Frauen hinterherzustieren, und trotzdem war er mir nicht ein einziges Mal aufgefallen.
    Nun, jetzt fuhr er Bahn. In dieser Gewißheit steuerte ich das Parkhaus ohne weitere Umwege direkt an, schaffte es aber trotzdem den ganzen Weg über nicht recht, dieses schwer zu beschreibende Gefühl im Nacken abzustreifen.
    Die Spannung baute sich erst etwas ab, als ich meiner treuen Carina ansichtig wurde, und sie schlug regelrecht in Übermut um, als ich ein Stück weiter den bordeauxroten Astra meines persönlichen Geleitschutzes stehen sah. Mit langen Schritten ging ich rüber, riß die hintere Türe auf und schwang mich hinein.
    »Einmal zur >Endstation<, Jungs«, sagte ich fröhlich, knallte die Tür zu, kramte nach meinem Autoschlüssel und ließ ihn am ausgestreckten Arm zwischen ihren beiden Köpfen baumeln. »Und wenn einer von euch beiden Süßen so nett wär, mir eben meinen Wagen mitzunehmen? Ich bin echt zu breit, um noch selber zu fahren.«
    Der Fahrer, ein junger Blonder mit einem >Flat<, oder Bürstenhaarschnitt, wie man früher sagte, kurbelte hastig das Fenster herunter und sein Kollege, ebenfalls jung, aber dunkelhaarig und mit nach hinten geölten Locken, sah mit einiger Entgeisterung von den baumelnden Schlüsseln zu der Carina und wieder zurück. »So betrunken kommen Sie mir gar nicht vor«, meinte

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