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Prickel

Prickel

Titel: Prickel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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Bauch, sah dran herunter: gerade lang genug.
    »Spitze«, sagte ich.
    »Also«, meinte der Berber mit kritischem Blick, »also ich«, meinte er und machte einen Schritt zurück, »also ich möchte nich tot unn verwest gesehen werden in sonner ollen Oppa-Buxe!«
    In der >Endstation< herrschte kaum Betrieb. Bernhard war eben kurz weg, ein Ersatzteil für die Zapfanlage besorgen. Ich ging nach oben, mich umziehen.
    Unterm Bett habe ich einen Koffer, da sind Klamotten drin, die habe ich seit zwanzig Jahren nicht mehr angehabt. Sandalen! Sie wirkten ein wenig morsch, doch für eine Nacht, entschied ich, würden sie schon noch halten. Dazu braune Nylonsocken, meine neue Hose. Ich hastete zum Spiegel. Wenn ich jetzt obenrum nicht etwas vorsichtiger zu Werke ging, mußte ich aufpassen, daß sie mich nicht mit einem Netz von der Straße wegfingen. Also zog ich ein Tote-Hosen-T-Shirt über und pustete im Flur den Staub von einem ebenfalls seit Jahren vernachlässigten, leicht verschlissenen Blouson. Zurück vor dem Spiegel kämmte ich mir noch mit viel Wasser einen gewagten Seitenscheitel, dann trat ich zurück, um mich in voller Größe zu bewundern. Lonesome Lothar griente mich an, genannt Lodda, der Mofa-King. Lonesome Lodda, der Grapscher mit den feuchten Händen. Lonesome Lodda, der Tänzer mit den großen Füßen. Lonesome Lodda, der Aufreißer mit dem Charme einer Margarineknifte.
    »Und komm-mir nich wieder so spät nach Hause«, keifte ich mit hoher Stimme.
    »Nein, Mutti.«
    »Und dasse mir bloß nich wieder sonne Schlampe hier anschleppst!«
    »Nein, Mutti«, grummelte ich. »Sei unbesorgt.« Und nach einer letzten probeweisen Grimasse machte ich mich auf die Socken. Die Nacht war jung und ich brannte darauf, irgendeine Form von Resultat zu erzielen. Wenn ich schon Det nicht finden konnte, vielleicht konnte ich es ja so hinbiegen, daß Det mich fand? Versuch macht kluch, wie man bei uns sagt.
    Unten sprang ich mit einem Satz in die Carina, startete und hatte schon eingekuppelt, ehe der Motor auch nur einmal richtig hochgedreht hatte. Erst nach zwanzig Metern schaltete ich das Licht an und riß den Wagen um eine Straßenecke, beschleunigte zügig.
    Mit dem leicht panischen Ausdruck, den Scheinwerfer im Rückspiegel bekommen, wenn der Fahrer hinter einem heftig aufs Gas tritt, schloß sich mir ein anderes Auto an. Wild schlingernd bog ich um die nächste Ecke.
    Ich weiß, was ich den Jungs schuldig bin. Man kann sie nicht den ganzen Tag in ihrem Auto hocken und Däumchen drehen lassen. Das ist nicht nett. Und man kann sicherlich nicht alle paar Stunden nach Hause kommen, ohne dem Anschein nach je das Haus verlassen zu haben. Das macht sie stutzig. Also hatte ich beschlossen, uns ein bißchen Bewegung zu verschaffen. Und Bernhard würde es auch freuen. Na, damit war doch allen gedient.
    Bis nach Essen hielten sie wacker mit. Zweimal verschleppte ich das Tempo vor großen Kreuzungen, bis es so gerade eben Rot geworden war, bevor ich durchstartete, und einmal, auf der Autobahn, schoß ich im letzten Augenblick in eine Ausfahrt, nur um direkt danach wieder aufzufahren, doch, wie gesagt, sie hielten wacker mit.
    Dann wurde es Zeit, sie loszuwerden. Wenn ich in Essen bin, fahre ich immer in das gleiche Parkhaus, das über der Aral-Tankstelle. Ich zog mir ein Ticket an der Schranke, jagte mit quietschenden Reifen zwei, drei Etagen hoch, stoppte dann abrupt direkt neben dem Treppenhaus, hastete hinein, drückte den Knopf für den Aufzug, der sich auch brav summend in Bewegung setzte, hastete dann auf leisen Sohlen eine Etage höher, überquerte im Eiltempo das Parkdeck, wetzte die Stufen des anderen Treppenhauses hinunter und trat hinaus in eine kaum beleuchtete Seitenstraße.
    »Jetzt ein Bier!«, versuchte ich mich für die kommende Aufgabe in Stimmung zu bringen.
    Wenn es etwas gibt, gäbe, das die Essener Innenstadt architektonisch prägt, dann ist es das krasse, dichte Nebeneinander von hellsten Ladenfronten und düstersten Ecken. Egal, wo man sich gerade aufhält, auch vor den besten Lagen, es braucht in den seltensten Fällen mehr als hundert Schritte bis zu einem nach Pisse stinkenden Treppenabgang, in dem Punker sich Seite an Seite mit Pennern ins Koma saufen, wenn nicht ein bewußtloser Junkie mitten im Weg liegt oder eine hohlwangige Vierzehnjährige im Plastikmini auf- und abstöckelt. Heil unten angekommen landet man dann zumeist in einer vor Verkehrslärm dröhnenden Unterführung, wo es keinen interessiert,

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