Priester und Detektiv
»ich fing ihn mit einer unsichtbaren Angel und einer unsichtbaren Leine, die lang genug ist, ihn bis ans Ende der Erde laufen zu lassen und ihn mit einem einzigen Zucken des Garnes zurückzubringen.«
Ein langes Schweigen folgte. Die anwesenden Männer verzogen sich einer um den anderen, um den Gefährten das wiedergewonnene Silber zurückzubringen. Nur der Oberst mit dem grimmigen Gesichte saß immer noch auf dem Tische, seine langen, dürren Beine schlenkernd und seinen dunklen Schnurrbart kauend. Endlich wandte er sich in aller Ruhe zu dem Priester:
»Muß ein geriebener Bursche gewesen sein, aber ich glaube, ich kenne einen noch geriebeneren.«
»Das war er auch,« gab dieser zurück, »aber ich verstehe nicht ganz, welchen anderen Sie noch meinen.«
» Sie meine ich,« erwiderte der Oberst mit kurzem Lachen. »Ich verlange nicht, daß der Kerl ins Loch kommt, machen Sie sich darob keine Sorge, aber eine Handvoll Silbergabeln gäbe ich, wenn ich genau wüßte, wie Sie in diese Geschichte verwickelt wurden und das Zeug wieder von ihm herausbekamen. Ich denke, Sie sind der allermodernste Gauner der geehrten Anwesenden.«
Father Brown schien die grimmige Biederkeit des alten Soldaten eher zu gefallen.
»Nun.« meinte er lächelnd, »über die Identität des Mannes darf ich Ihnen nichts sagen, noch auch etwas von seiner Erzählung: aber ich sehe keinen besonderen Grund, weshalb ich Ihnen nicht die rein äußerlichen Tatsachen, die ich selbst herausfand, mitteilen sollte.«
Mit unerwarteter Behendigkeit schwang er sich über die Schranke und setzte sich neben Oberst Pound. indem er wie ein kleiner Junge auf einem Zaun die kurzen Beine schlenkerte. Wie wenn er zu einem alten Freunde vor dem Kaminfeuer spräche, so unbefangen begann et seine Geschichte zu erzählen.
»Sehen Sie, Oberst,« hub er an, »ich war in jene kleine Kammer dort eingeschlossen und hatte etwas zu schreiben, als ich ein paar Füße in diesem Gange einen Tanz aufführen hörte, der so merkwürdig war wie ein Totentanz. Erst kamen kurze, spassig kleine Schritte wie von einem Manne, der um die Wette auf den Zehenspitzen läuft: dann kamen langsame, sorglose, knarrende Schritte wie von einem großen Manne, der herumschlendert und dabei Zigarren raucht. Aber ich schwöre Ihnen, beide wurden von denselben Füßen hervorgebracht und folgten sich abwechselnd; erst das Laufen, dann das Gehen und dann wieder das Laufen. Erst ohne mir etwas dabei zu denken, dann aber tausenderlei vermutend, wunderte ich mich, weshalb ein Mensch diese beiden Rollen auf einmal spielen wollte. Die eine Gangart kannte ich, sie war gerade wie die Ihrige, Oberst. Es war der Schritt eines wohlgenährten Herrn, der auf etwas wartet, der umherschlendert, eher weil er physisch behend, als geistig ungeduldig ist. Ich kannte auch die andere Gangart, aber es fiel mir nicht ein, welche es war. Welches Geschöpf hatte ich doch auf meinen Reisen angetroffen, das auf den Zehenspitzen in dieser ungewöhnlichen Weise einherhüpfte? Dann hörte ich von irgendwoher das Klirren von Tellern und die Antwort stand klar vor mir, so gewaltig wie die Peterskirche. Es war der Schritt eines Kellners, jenes Laufen mit vorgebeugtem Oberkörper, die Augen gesenkt, mit den Ballen den Boden hinter sich stoßend, mit fliegenden Frackschößen und wehender Serviette. Dann überlegte ich anderthalb Minuten. Und ich glaube, ich durchschaute das Verbrechen in allen seinen Einzelheiten, so klar, als beginge ich es selbst.«
Oberst Pound blickte ihn durchdringend an, doch des Sprechers milde, graue Augen waren in beinahe inhaltslosem Sinnen zur Decke gerichtet.
»Ein Verbrechen ist wie jedes andere Kunstwerk. Sehen Sie mich nicht erstaunt an, Verbrechen sind keineswegs die einzigen Kunstwerke, die aus der Höllenwerkstätte hervorgehen. Aber jedes Kunstwerk, ob höllisch oder göttlich, weist ein unerläßliches Kennzeichen auf, nämlich das, daß sein Kern, so vielgestaltig auch die Ausführung sein mag, durchaus einfach ist. So haben wir z.B. in Hamlet die Groteske des Totengräbers, die Blumen der Wahnsinnigen, den phantastischen Putz Osrics, die Fahlheit des Geistes und den grinsenden Schädel, aber all diese Absonderlichkeiten sind wie ein Drahtgewirr geflochten um die einfache, tragische Gestalt, eines Mannes in Schwarz. Nun gut,« fuhr er fort, indem er langsam und mit einem Lächeln von seinem Sitze herabglitt, »auch dies ist die einfache Tragödie eines Mannes in Schwarz. Ja,« bemerkte er
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