Priester und Detektiv
Rührung.
Dann wie beim Getöse des Jüngsten Gerichtes erwachten sie zu ihrer eigenen Lage. Denn ein paar unheimliche Sekunden lang hatten sie wirklich das Empfinden gehabt, der fünfzehnte Kellner könnte der Geist des toten Mannes von dort oben gewesen sein. Sie hatten unter jenem Drucke vor sich hingestarrt, denn Geister waren für sie etwas ebenso Entsetzliches wie Bettler. Aber die Erinnerung an das Silber brach den Zauber des Wundersamen, brach ihn unvermittelt und erzeugte eine heftige Gegenwirkung. Der Oberst warf seinen Stuhl rücksüber und schritt eilig der Türe zu.
»Wenn ein fünfzehnter Mann hier war, meine Freunde,« sagte er. »war der fünfzehnte Bursche ein Dieb. Sofort hinab an die Vorder- und Hintertüre und alles besetzt! Dann wollen wir weiterreden. Die vierundzwanzig Perlen des Klubs sind es wert, daß wir sie herbeischaffen.«
Mr. Gudley schien anfangs zu zögern, ob es sich schicke, wegen irgend etwas so in Eile zu geraten; als er aber den Herzog in jugendlichem Ungestüm die Treppen hinabschießen sah, folgte er mit etwas gereifteren Bewegungen. Im gleichen Augenblicke rannte ein sechster Kellner ins Zimmer und erklärte, er habe den Stoß Fischteller auf einen Anrichtetisch gefunden, aber ohne eine Spur des Silbers.
Der Haufe der Gäste und Kellner, der Hals über Kopf die Gänge hinabstürzte, teilte sich in zwei Gruppen. Die meisten der »Fischer« folgten dem Besitzer nach dem nach vorne gelegenen Raume, um zu fragen, ob irgend jemand hinausgegangen sei. Oberst Pound mit dem Vorsitzenden, dem Vize und noch einigen anderen stürmte den zu den Dienerschaftsräumen führenden Weg als den wahrscheinlicheren der Flucht entlang. Dabei kamen sie an der dunklen Nische oder Höhle des Kleiderraumes vorüber und sahen dort eine untersetzte, schwarzberockte Gestalt, vermutlich einen Diener, der sich ein wenig rückwärts im Schatten hielt.
»Hallo! Sie dort!« rief der Herzog. »Haben Sie jemanden vorüberkommen gesehen?«
Die untersetzte Gestalt beantwortete die Frage nicht direkt, sondern sagte nur:
»Vielleicht habe ich, was Sie suchen, meine Herren.«
Sie hielten an, unschlüssig und neugierig, während jener ruhig nach dem Hintergrund der Dunkelkammer ging und dann zurückkehrte, beide Hände voll glänzenden Silbers, das er mit der Ruhe eines Verkäufers auf der Bank vor sich ausbreitete. Es nahm schließlich die Form eines Dutzend eigentümlich geformter Gabeln und Messer an.
»Du – du –« begann der Oberst endlich ganz außer Fassung. Dann guckte er in das dämmerige, kleine Loch und erkannte zwei Dinge, erstens, daß der untersetzte, schwarzberockte Mann wie ein Geistlicher gekleidet war, und zweitens, daß das Fenster dahinter geborsten war, wie wenn jemand mit Gewalt durchgebrochen wäre.
»Wertvolle Sachen zum Aufbewahren in einer Garderobe, nicht?« bemerkte der Geistliche mit heiterer Ruhe.
»Haben – haben Sie diese Dinger gestohlen?« stotterte Mr. Audley starren Blickes.
»Wenn schon,« erwiderte jener vergnügt, »so bringe ich sie jetzt wenigstens wieder zurück.«
»Aber Sie haben es doch nicht getan? Nicht?« warf der Oberst dazwischen, immer noch das zerbrochene Fenster anstarrend.
»Offen gestanden, nein,« gab jener frohgelaunt zurück und setzte sich ganz ernsthaft auf einen Stuhl nieder.
»Aber Sie wissen, wer!« forschte der Oberst weiter.
»Seinen wirklichen Namen kenne ich nicht,« antwortete der Priester sanft, »aber ich weiß einiges von seinem Kampfwerte und ein gutes Stück mehr.
von seinen geistlichen Nöten. Ich lernte ihn von seiner physischen Seite stark schätzen, als er versuchte, mich zu erwürgen, und von der moralischen, als er bereute.«
»O wirklich – bereute?« rief der junge Chester unter krähendem Lachen.
Father Brown stand auf und, die Hände auf dem Rücken, bemerkte er: »Spassig, nicht, daß ein Dieb und Landstreicher bereuen sollte, wenn so viele andere, die reich sind und ohne Sorgen, hart und leichtfertig bleiben und ohne Früchte für Gott und die Menschheit? Aber verzeihen Sie gefälligst, damit überschreiten Sie ein wenig die Grenze meines Gebietes. Wenn Sie die Reue als eine vorkommende Tatsache bezweifeln, hier, bitte, sind Ihre Messer und Gabeln. Sie sind die »Zwölf wahren Fischer« und hier sind all Ihre Silberfische. Er aber hat mich zum Menschenfischer gemacht.«
»Haben Sie den Burschen gefangen?« fragte der Oberst mit gerunzelter Stirne.
Father Brown blickte ihm voll ins Gesicht.
»Ja,« sagte er,
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