PRIM: Netzpiraten (German Edition)
Deshalb antwortete sie ohne zu zögern: „Richtig. Ich denke, Sie meinen damit zuallererst uns, die NSA. Sie werden verstehen, dass wir darüber keine Auskunft geben, jedenfalls nicht in diesem Kreis.“ Alice vermied es, irgendeinen der Anwesenden anzusehen. „Ich habe über unseren Direktor eine Anfrage an alle US-Geheimdienste gerichtet, ob sie am Faktorisierungsproblem arbeiten und ob sie Durchbrüche bei der Lösung erreicht haben. Die Antworten bitte ich Sie bei Ihren obersten Chefs einzuholen. Ich bin sicher, dass wir in unserem Land längst ein anderes Verschlüsselungssystem für unsere geheime Kommunikation eingeführt hätten, wenn die Gefahr einer schnellen Faktorisierung bestünde. Was die Universitäten angeht …“
Hier wurde sie von Paul Hoover unterbrochen: „Ich möchte an dieser Stelle gerne ein Statement abgeben. Das FBI hat im Zusammenhang mit dem PRIM-Fall vor einiger Zeit eine Untersuchung darüber begonnen, an welchen Universitäten und in welchen IT-Firmen Forschung zur Zahlentheorie, genauer Primzahlforschung, betrieben wird. Bisher haben wir keinerlei mögliche Verbindung zu den PRIM-Erpressern entdecken können, aber die Untersuchungen sind noch nicht ganz abgeschlossen.“
„Gut, dass wir das nun auch erfahren. Warum haben Sie Beagle nicht früher darüber berichtet?“, fragte McFarlane. „Dann hätten wir koordiniert vorgehen können, zum Beispiel hätte die CIA ähnliche Untersuchungen im Ausland durchführen können.“
Der Vorwurf in McFarlanes Frage ließ Hoover kalt: „Bisher wurde eine Lösung des Faktorisierungsproblems in Beagle als höchst unwahrscheinlich angesehen. Wir haben die Untersuchung deshalb unabhängig von Beagle in die Wege geleitet. Jetzt, wo wir die Möglichkeit der Faktorisierung zumindest nicht mehr ganz ausschließen wollen, mache ich Ihnen ja die Mitteilung über unsere Initiative, und Ergebnisse werden wir selbstverständlich einbringen.“
Moore hatte seit einiger Zeit angezeigt, dass er etwas sagen wollte. McFarlane gab ihm das Wort.
„Miss Lormant, Sie gehen offensichtlich davon aus, dass in erster Linie Geheimdienste und Universitäten für die Lösung des Faktorisierungsproblems in Frage kommen. Können Sie uns eigentlich versichern, dass die NSA nicht dazu in der Lage ist, die Faktorisierung mit ihren ungeheuren Computerkapazitäten nach den bekannten, wenn auch langsamen Methoden auszuführen?“
Auch diese Frage musste irgendwann gestellt werden. Alice hatte sie schon viel früher erwartet. Sie vermutete, dass die Geheimdienste, wie auch das Pentagon und das Außenministerium, durch überschlägliche Berechnungen zu dem Ergebnis gekommen waren, dass die NSA nicht zur Faktorisierung der in PK-15 verwendeten Zahlen mit 480 Stellen in der Lage war. Schon gar nicht in dem Umfang und in der Geschwindigkeit, wie sie PRIM für sich in Anspruch nahmen. Sie fasste sich deshalb kurz: „Ich kann das nicht versichern, Moore, denn ich weiß es nicht. Auch wenn ich es wüsste, dürfte ich es nicht sagen. Sie werden verstehen, dass die tatsächlichen Rechenkapazitäten der NSA strenger Geheimhaltung unterliegen. Aber Sie finden in der Fachliteratur seriöse Abschätzungen auf der Basis der Leistungen der modernsten Hochleistungsrechner, zusammengeschaltet zu riesigen Rechnerverbünden. Selbst mit erkennbar unrealistischen Annahmen über Geschwindigkeiten, Kapazitäten und zukünftige Steigerungsraten ergeben diese Abschätzungen viele Millionen Jahre für die Berechnung. Pro Faktorisierung.“
„Das Thema ist im Sicherheitsrat mit dem Präsidenten zur Sprache gekommen“, bestätigte John Merveny. „Ich weiß natürlich nicht, ob in diesem höchsten Sicherheitsgremium, in dem ja auch der Direktor der NSA vertreten ist, die genauen Kapazitäten der NSA genannt worden sind. Aber es konnte jeder Verdacht hinsichtlich einer Verbindung zu PRIM zerstreut werden.“
„Eine Frage ist merkwürdigerweise noch nicht gestellt worden“, nahm Alice noch einmal das Wort. „Nämlich warum PRIM die Faktorisierung von 500 Ziffern großen Zahlen anbieten, wenn doch unsere modernsten und sichersten Verschlüsselungsverfahren mit 480 Stellen langen Produkten auskommen. Der Unterschied zwischen diesen Längen bedeutet einen hunderttrillionenfachen Aufwand beim Faktorisieren, solange man es mit den herkömmlichen Verfahren versucht. Und die beanspruchen ja bereits bei Zahlen mit halb so vielen Stellen unglaublich lange Zeiten. Warum also diese aus 500 Ziffern
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