PRIM: Netzpiraten (German Edition)
Kannst du bitte hier bleiben und den Anruf annehmen, während ich mich drüben schnell frisch mache?“
„Von Tessenberg?“, fragte Perlin erschrocken.
„Nein, eine seiner Sekretärinnen oder Assistentinnen. Keine Ahnung, wie sie heißt. Ein Drachen. Du sagst nur deinen Namen, und wenn sie nach mir fragt, dann sagst du, dass du mich ans Telefon holst. Ich lasse meine Tür unverschlossen.“
„Knackig“, antwortete Perlin und machte es sich sogleich auf Alices Platz bequem. Als ob sie den Hörer nicht auch von der anderen Tischseite abnehmen könnte. Alice schmunzelte und ließ sie gewähren. An Perlins merkwürdige Synonyme für gut und schlecht, okay und nicht okay, richtig und falsch, die jeweils auch alle denkbaren ähnlichen Bedeutungen einschlossen, hatte sie sich inzwischen gewöhnt. Jedenfalls bis Perlin das nächste Mal mit neuen Ausdrücken aufwarten würde.
Im kalten Kunstlicht der Damentoilette blickte Alice in den Spiegel und fragte sich, ob es eine gute Idee war, sich frisch machen zu wollen. Ohne viel Hoffnung machte sie sich an das Werk. Hoffentlich wurde Tessenberg noch lange aufgehalten.
Sie war fast fertig, als Perlin herein stürzte. „Alice! Er ist am Telefon. Komm schnell!“ Zum Glück war sie nicht vor Aufregung ohnmächtig geworden.
* * *
Alice traf Tessenbergs Mitarbeiterin am Fahrstuhl. Leonie lotste sie durch die Sperren und die Vorzimmer mit den Drachen bis in Tessenbergs Büro. Er sprang auf, um sie zu begrüßen. „Kaffee ist sehr gut“, gab sie ihm auf seine Einladung hin zu verstehen.
Sie war dankbar, jemanden zu treffen, der keine Bemerkungen über ihr Äußeres machte. Vielleicht, weil er selbst recht mitgenommen aussah. Er erkundigte sich über den Fall DATA TODAY in einer Weise, die erkennen ließ, dass er ihre Berichte nicht gelesen hatte. Das war merkwürdig, wenn sie bedachte, wie wichtig es ihm am Anfang mit dem Blinden Passagier gewesen war. Andererseits war sie erleichtert darüber, dass er dann wohl auch nichts über ihre C-5 Kontakte wusste. Es war nicht leicht, einem hohen Vorgesetzten zu erklären, von wem man sich küssen ließ und von wem nicht. Er fragt nur, um die Zeit bis zum Kaffee zu überbrücken, und er hat anderes mit mir vor, dachte Alice.
Tessenberg hatte sich wieder ihre Personalakte bringen lassen. Er ließ sie geschlossen, legte aber seine gefalteten Hände so darauf, als ob er sie gut kannte oder gerade noch einmal gelesen hatte. So läuft ein Rausschmiss, dachte Alice, aber sein Gesichtsausdruck passte nicht dazu. Der zeigte ihr eher, dass er irgendetwas von ihr wollte.
„Sie haben sich recht intensiv mit unsymmetrischer Verschlüsselung beschäftigt, nicht wahr, Miss Lormant?“
„Ja, Sir.“
„Was antworten Sie, wenn Ihnen jemand erzählt, er hätte sie geknackt?“
„Ich würde es mir zeigen lassen, Sir. Wer sieht nicht gern ein Wunder.“
Tessenberg hatte so viel Schlagfertigkeit nicht erwartet und lachte überrascht. „Die meisten lachen, so wie Sie und ich jetzt. Vor allem die Mathematiker. Ich hoffe, dass wir Recht behalten. Denn dann haben wir es nur mit einem Datendieb zu tun, mit einem sehr raffinierten Einbrecher in Datenbanken und Rechnersysteme. Und das ist Ihr zweites Spezialgebiet.“
Alice nickte, ohne viel zu verstehen. Sie wartete.
„Die Einbrüche betreffen die Mailserver des Präsidenten und seiner Familie. Möglicherweise weitere Regierungsmitglieder und weitere Server. Dann könnte es auch ein Verräter sein. Ich entsende Sie zum Einsatzgremium Beagle , Miss Lormant. Dort unterstehen Sie dem Secret Service. Sie werden vereidigt und erhalten besondere Befugnisse. Beagle residiert in einem der Kontrollzentren im Weißen Haus. Im Keller. Sie bekommen einen Ausweis, und Sie müssen Augen und Hände neu scannen lassen.“
Sie wusste nicht, was sie sagen oder zuerst fragen sollte. Und sie hatte viele Fragen. Fragen verrieten nicht nur Neugier, oft auch Furcht und Unsicherheit.
„Ich bin bereits vereidigt, Sir.“
„Das weiß ich. Aber hier könnten Sie Dinge erfahren, die nur ein sehr beschränkter Kreis wissen darf. Es tut mir leid. Sie werden niemandem über Beagle erzählen dürfen. Das erfordert einen neuen Eid.“
„Dann wird also der Secret Service mein neuer Arbeitgeber, und ich fahre jeden Tag nach Washington?“
„Das kommt darauf an. Wo wohnen Sie denn, und fahren Sie mit dem Auto?“
„Ja, ich komme mit dem Wagen zur Arbeit. Von Columbia.“
„Aus Columbia? Über den
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