PRIM: Netzpiraten (German Edition)
ihr Diktierprogramm, wenn sie allein und ungestört arbeiten konnte. Sie rief eine leere Seite an ihrem zweiten Bildschirm auf und begann, ihre Fragen und Anmerkungen zu notieren. McFarlane legte das Blatt Papier von Nurdock auf den Tisch und strich es glatt.
„Es ist eine neue Nachricht, die vierte, bei Mrs. Stonington eingegangen. Sie finden sie im Ordner PRIM Mitteilungen unter PRIM-4, und ich zeige sie hier an der Wand. Erneut ist der Text einer privaten Mail hinter der Nachricht eingefügt. Diesmal wieder eine Antwort der Schwester der First Lady. Aber erstmals sind bei dieser vierten Mitteilung zwei Klartexte von Dokumenten als Anlagen angehängt. PRIM behaupten, sie entschlüsselt zu haben. Sie hatten bereits in ihren ersten drei Mails auf solche Dokumente hingewiesen. Ich lese erst einmal den Mitteilungstext vor. Bitte vergleichen Sie!“
Liebe Mrs Stonington.
Sie und Ihr Mann wollen die nach dieser Mitteilung
folgende Mailkopie nicht in der Presse lesen.
Sie wollen auch die in der Anlage beigefügten
geheimen Unterlagen nicht in den Händen der
Presse sehen. Wir haben noch viele weitere.
Deshalb werden Sie für eine zügige Abwicklung
unseres Geschäfts sorgen.
PRIM
Der Absender der Mail war ein gewisser K. Price. Der Maildienstanbieter hieß Styx und war ein von Studenten am College der Universität von Boulder eingerichteter Mailservice. McFarlane kommentierte das nicht und rollte den Text weiter nach oben, bis der angeblich von PRIM entschlüsselte Text einer Mail der Schwester der Präsidentengattin an Pamela Stonington zu sehen war. „Lesen Sie selbst, bitte!“, sagte er.
Der direkt unter die PRIM-Mitteilung kopierte Brief war nur kurz, vielleicht vierzehn Zeilen lang. Etliche Wörter, Wortgruppen und offensichtlich auch ein ganzer Satz waren geschwärzt. Der verbleibende Text war belanglos.
McFarlane wartete keine Bestätigung ab und zeigte nach wenigen Sekunden die Kopie eines Gesprächsprotokolls. Es war an der Bildwand kaum zu entziffern, deshalb holte sich Alice das Dokument auf ihren zweiten Bildschirm und vergrößerte es. Weder McFarlane noch Nurdock unternahm etwas, die Anzeige an der Multimediawand lesbarer zu machen.
„Dies ist das erste Protokoll aus der Anlage zur Mail. Die Abschrift eines Mitschnitts. Es ist ein Telefongespräch zwischen dem Leiter der englischen Delegation bei den bilateralen Handelsgesprächen hier in Washington im April letzten Jahres mit dem englischen Wirtschaftsminister in London. PRIM haben den Absender und den Adressaten herausgeschnitten beziehungsweise weggelassen. Wir haben deshalb noch keine Bestätigung über die Echtheit des Protokolls. Es ist acht Seiten lang, Sie können es später studieren.
Das zweite Dokument ist ein Konferenzprotokoll aus dem Pentagon. Ich zeige es erst gar nicht, denn das Pentagon hat auf Schwärzung des gesamten Dokuments und Zurückhaltung der Begleitdaten bestanden. Es werden uns lediglich die Erstellungsdaten 14. August 2009, der Adressat Verteidigungsministerium in London, allerdings ohne Angabe eines Namens oder einer Abteilung, und die Gesamtlänge der Datei mit 8.770 Bytes genannt. Auf meine Anfrage vor etwa zwei Stunden nach dem Verschlüsselungsprogramm und dem öffentlichen Schlüssel des Empfängers in England hat mir das Pentagon jetzt mitgeteilt, dass sie nicht davon ausgehen, dass die Erpresser die Datei entschlüsselt haben.“ McFarlane tippte auf das Papier vor sich auf dem Tisch. „Sie sind davon überzeugt, dass irgendein Konferenzteilnehmer, und sie meinen natürlich einen englischen, eine unverschlüsselte Kopie des Protokolls ungeschützt abgespeichert hatte, und dass die Erpresser eine solche Kopie gestohlen haben. Natürlich haben sie eine Untersuchung gestartet. Und ich würde mich wundern, wenn das Pentagon nicht ganz schnell jemand zu Beagle abstellt.“
McFarlane nahm das Bild des Protokolls von der Wand und fuhr fort, bevor irgendjemand etwas sagen konnte: „Lassen Sie mich zur Information von Hoover und Lormant ganz kurz andeuten, was wir bisher gemacht haben und zu welchen Schlüssen wir gekommen sind. Dann können wir diskutieren, Fragen stellen und auch Aufgaben verteilen. Einverstanden?“
Obwohl es offensichtlich eine Menge Fragen gab, wurde ringsum genickt oder auf andere Weise Zustimmung signalisiert. McFarlane lehnte sich in seinem Stuhl zurück, schien sich mit geschlossenen Augen kurz zu sammeln, und
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