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Prime Time

Prime Time

Titel: Prime Time Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liza Marklund
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Bildschirm, und Michelle Carlsson füllte den Monitor vor ihnen.
    Beide erstarrten, die Schärfe des Bildes traf sie unvorbereitet. Die Moderatorin stand gespannt und bereit da und lauschte offenbar einer Stimme in ihrem Ohrhörer.
    »Nein, ich will die Anarchisten zuerst«, sagte sie in ihr Mikro zu jemandem im Regieraum als Antwort auf eine Frage, die vermutlich auf einem anderen Band in einem anderen Müllsack zu finden war.
    Die Frau stand immer noch da und hörte zu, eine Maskenbildnerin kam ins Bild, betrachtete die Moderatorin aus der Nähe, aber Michelle bemerkte sie gar nicht, sondern hörte nur vollkommen konzentriert auf das, was in ihrem Ohr gesagt wurde. »Die Anarchisten zuerst«, sagte sie, »dann die Nazifrau, Nahaufnahme, die Kamera von links, so dass ihr Hakenkreuz den Bildschirm einnimmt.«
    Die Maskenbildnerin betupfte die Stirn der Frau mit einem großen rosafarbenen Ball, nahm einen Pinsel heraus und malte über eine Augenbraue, zog sich dann zurück.
    »Okay«, sagte Michelle Carlsson und nickte. Sie mimte ein Danke an die verschwundene Maskenbildnerin, hob die Hand zu einem Gruß und drückte den Knopf im Ohr noch einmal fest. Dann machte sie eine halbe Drehung und sah mit völlig leerem Blick in die Kamera.
    Annika starrte in die Augen der Frau, die auf null gestellt waren, und hatte plötzlich einen Kloß im Hals. Auf dem Grund dieser Augen gab es kein Glück, keine Zufriedenheit, keine Nähe im Leben, nur Angst und Forderungen.
    Dann nickte Michelle Carlsson wieder, trat einen Schritt zurück und knipste ihr inneres Licht an.
    Die Verwandlung war fantastisch und dramatisch. Das Gesicht veränderte sich, die Augen waren lebendig, glitzerten und schimmerten, Wärme strahlte über den Bildschirm und traf Annika und Anne, umfasste sie und ließ sie lächeln.
    »Willkommen zum ›Sommerschloss‹«, sagte Michelle Carlsson mit einer Stimme wie warmer Honig. Ihr Haar war seidig und die Augen wie Kristall. »Heute Abend treffen wir uns zum letzten Mal in diesem Sommer auf Schloss Yxtaholm in Sörmland, mit Gästen und Künstlern und …«
    Michelle Carlsson erstarrte, legte die Hand ans Ohr, die Wärme erstarb.
    »Okay«, sagte sie. »Eins, zwei, eins, zwei, hört ihr jetzt?
    Eins, zwei?«
    »Was ist das denn für ein Band?«, fragte Annika.
    »Wahrscheinlich die Aufnahme von Kamera zwei am letzten Abend«, erklärte Anne und spulte vor. Die Geräusche wurden in piepsende Mickey-Mouse-Stimmen verwandelt, zwei Striche erschienen über dem Schirm, und die Menschen bewegten sich wie Stummfilmfiguren. Annika blieb stehen und sah fasziniert in das Kaleidoskop der Wirklichkeit.
    »Yes«, sagte Anne Snapphane nach einer Minute, als die Aufnahme selbst begonnen hatte. »Das ist Kamera zwei.«
    Sie ließ das Gerät schneller laufen, und anstelle der zwei Linien liefen jetzt sieben über den Bildschirm, die Laute wurden zu Diskanttönen an der Grenze zum Hörbaren.
    Während das Band weiterlief, streckte sich Anne schon nach dem nächsten aus, wog zwei verschiedene in der Hand und wählte schließlich eines davon aus. Dann nahm sie wieder die Archivaufkleber und wartete darauf, dass das Band durchgelaufen war. Auf drei Monitoren redeten und lachten gleichzeitig drei Michelles. Im Hintergrund standen Gäste und Techniker und starrten zu dem Fernsehstar hinüber. Die Moderatorin lächelte, sie strahlte, zog die Augenbrauen hoch, wenn sie zuhörte, begrüßte und verabschiedete. Die Kameras folgten ihr sehr dicht, jede Bewegung war wichtig, jeder Ausdruck hatte seine Bedeutung.
    »Einfach unglaublich«, sagte Annika, »was für eine Kraft das hat.«
    »Das haben wir doch schon in der Bibel«, sagte Anne und fingerte an den Archivaufklebern herum. »Erstes Buch Mose, viertes Kapitel.«
    Annika, die Annes Vergangenheit in der Sonntagsschule der Evangelischen Vaterlandsstiftung in Pitholm kannte, wartete schweigend auf die Fortsetzung.
    »Gesehen zu werden«, sagte Anne Snapphane, »ist grundlegend für den Menschen. Wenn man die Anerkennung und die Wertschätzung, die man verdient, nicht bekommt, geht man kaputt. Dann kann man nicht mehr leben.«
    »Bist du jetzt wieder bei Kain und Abel?«
    »Das ist zumindest das erste dokumentierte Mordmotiv in der Weltgeschichte«, meinte Anne.
    »Also«, sagte Annika, »das kapiere ich nicht.«
    Anne nickte und streifte ihre Schuhe ab.
    »Kain wurde Bauer, Abel Schafhirte. Sie brachten dem Herrn ihr Opfer, Kain kam mit der Frucht der Erde, Abel mit dem erstgeborenen Lamm

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